Höhlenmenschen im Schattenreich

■ Filmreihe zur Ausstellung »Jüdische Lebenswelten«

Vom 15. Januar bis 22. April zeigt das Arsenal im Kinosaal des Martin-Gropius-Baus von jeweils Mittwoch bis Sonntag um 20 Uhr jüdische Filme aus Polen, der UdSSR, den USA, Österreich, Israel und anderen Ländern. Ab 1. Februar werden die Filme im Arsenal wiederholt. Jeden Mittwoch stellen wir sie hier kurz vor.

Diese Woche führt das Programm hinab ins Schattenreich des »Trümmerfilms« der Nachkriegsjahre. Zentnerschwere Monologe, Einflüsse des amerikanischen Film Noir und der eiserne Wille, den Faschismus mit dem Wertesystem der deutschen Klassik oder dem Instant-Marxismus der keimenden DDR auszutreiben, sind die Charakteristika dieser Produktionen. Auffällig ist bei beiden Varianten die absolute Abwesenheit jüdischer Religiosität. Die Protagonisten sind durchweg Assimilierte (»Ich bin kein Jude, ich bin Deutscher«), was zum Teil den Tatsachen entspricht, zum Teil die Distanz der Filmemacher zum Judentum ausdrückt.

Den Auftakt heute abend macht die Affaire Blum (1948), ein schneidend scharfer Film des Brecht-Mitarbeiters Erich Engel über einen Kriminalfall der Weimarer Republik, in dem der Raubmord eines abgehalfterten Freikorps-Gefreiten dem jüdischen Unternehmer Blum angelastet werden soll.

Die Innenräume, in denen der Film zum größten Teil spielt, sind exakt kalkulierte Kulissen für die Dialoge; man merkt, daß Engel vom Theater kam. Daß der Film trotzdem nie ins Stocken gerät, liegt an den Schauspielern: Wie bei Brecht sind sie einerseits bloße Masken ihrer sozialen Position, andererseits in dialektischer Bewegung: die Freundin des Mörders, die aus ihrer starren Angst in die Trauer der Resignation übergeht; der Mörder selbst, dessen fiese Luchsaugen plötzlich wieder zu denen eines Gehetzten werden, als sich die Schlinge um ihn zuzieht; oder der stoische Berliner Kommissar, der Blum aus reiner Professionalität rettet (er landet später im KZ Oranienburg). Wenn Otto Dix und Howard Hawks in einer Neuköllner Kaschemme aufeinandergetroffen wären, hätte kein besserer Film herauskommen können.

Am Donnerstag abend folgt Professor Mamlock (1961) von Konrad Wolf, die Geschichte eines jüdischen Chirurgen, die Wolfs Vater 1933 in unmittelbarer Reaktion auf den Reichstagsbrand schrieb. Die erste Einstellung setzt den Ton: Den festen Blick auf die Kamera gerichtet, sagt Mamlock (Wolfgang Heinz mit blitzenden Augen und buschigen Brauen): »Du ängstigst Dich ... Ist in dem lärmenden Vorwärtsstürmen der Welt noch Platz für Güte, Menschlichkeit, Demokratie und Freiheit, Geist und Harmonie?« Dazu spielt im Hintergrund Freude schöner Götterfunken. In der nächsten Einstellung der Kamera stellt sich heraus, daß Mamlock nicht zu einem Millionenpublikum, sondern zu seiner Frau spricht.

Der Film ist die Charakterstudie eines modellhaften Deutschen, der sich im Ersten Weltkrieg das EKI erworben hat und den nun die SA-Stiefel aus seiner Klinik treten. Sein Sohn Rolf ist bei den Kommunisten, alles stramme, proletarische Jungs, die wissen, daß der Faschismus — rumms — eine Klassenfrage ist, und daß die bürgerliche Ethik und all der Beethoven-Kokolores jetzt der harten Faust weichen müssen, dazu Manne Krug als SA-Scherge... harte Männer noch und noch. Auch die Überblendungen des Films (Plattenteller mit SA-Autoreifen, Sektglas mit Messer) konfrontieren die Ästhetik des bürgerlichen Intellektuellen mit Eisensteinschem Rigorismus, ohne daß Mamlock dabei völlig denunziert würde.

Ehe im Schatten (1947) von Kurt Maetzig beschreibt in differenzierter Weise das Innenleben einer jüdischen Schauspielerin, die, von einem Kollegen »aus Anstand« geheiratet, den Krieg in einer muffigen Berliner Wohnung verbringt, während ihr Mann weiterhin auftritt. Die Gegenüberstellung der regennassen, schimmernden Straßen des alten Vorkriegs-Berlin mit den Schatten an der Wohnzimmerdecke und dem grauenhaften Getöse und Gebrüll der »Reichskristallnacht« machen den Film zur sehenswerten Studie eines Kriegsalltags.

Eugen Yorks Morituri (1948) bietet eine interessante Metapher für die Nachkriegssituation: Eine Gruppe von Männern aus aller Herren Länder und Berufen entflieht dem Konzentrationslager bei Nacht und Nebel und stößt zu einer Gruppe Frauen, Kindern und alter Leute, die mitten im waldigen Niemandsland nahe der polnischen Grenze unter einem riesigen Netz leben. Brodelnde Wasserkessel, wilde Tiere, Hexentänze und Naturheilmittel machen das Ganze zu einem echten Ur-Szenario für einen Neuanfang — eine Art vorweggenommener Morgenthau-Plan, tabula rasa, Stunde Null. Miriam Niroumand