„Unantastbar sind die jetzt auf jeden Fall“

Die Heiligsprechung des Opus-Dei-Gründers — nur eine Zwischenstation zur totalen Machtergreifung im Vatikan?  ■ Aus Rom Werner Raith

Das Rätselraten hat etwas Kafkaeskes: Bedeutet die Heiligsprechung des Opus-Dei-Gründers Escrivá de Balaguer den Höhepunkt, den Abschluß oder erst so richtig den Beginn einer totalen Machtergreifung der laizistischen Elitetruppe im Vatikan — als ob die frommen Geheimbündler nicht schon längst in die entlegensten Winkel des Kirchenstaates vorgedrungen wären. Bereits kurz nach seinem Amtsantritt 1978 kündigte Papst Johannes Paul II. die Einleitung des Heiligsprechungsprozesses für den erst wenige Jahre zuvor verstorbenen Escrivá an. 1981 setzte er eine Geheimbotschaft in Umlauf, wonach er beabsichtigte, Opus Dei in den Rang einer „persönlichen Prälatur“ zu erheben und damit der Kontrolle durch die örtlichen Bischöfe und Kardinäle zu entziehen. Seither hat die „hl. Mafia“ (Spottbezeichnung laut Andresen/Denzler, Wörterbuch der Kirchengeschichte) in St. Peter ein wichtiges Amt nach dem anderen besetzt.

Wojtyla hatte das Opus Dei während seiner Reisen nach Rom und in andere Weltstädte kennengelernt. So war er zum Beispiel gerne Gast in dem von der Organisation in Rom geführten Centro Romano di Incontri Sacerdoti. Dort lernte er auch die Eckpfeiler der europäischen Kirchen-Restauration kennen, etwa den Bischof Hengsbach aus Essen oder den Holländer Johannes Gijsen. Die jammerten schmerzlich über die mitunter regelrecht schroffe Art, mit der die Päpste Johannes XXIII. und Paul VI. jede Aufwertung der geheimlogenartigen Verbindung abgelehnt hatten; Wojtyla schloß sich ihnen an.

Als er, nach dem 33-Tage-Intermezzo von Johannes Paul I., in Rom die Zügel in die Hand bekam, standen die eifrigen Opus-Dei-Manager sofort neben ihm. Inbesondere zwei Bereiche hatten es ihnen von Anfang an angetan: das Staatssekretariat — eine Art Bundeskanzleramt mit außenministeriellen Befugnissen —, in dem seit 1979 der schlaue Chefdiplomat Kardinal Casaroli waltete, und die Vatikanbank „Istituto per le opere di religione“, kurz IOR genannt. Dort saß Erzbischof Marcinkus, der bereits dem dritten Papst hintereinander als Majordomus, Leibwächter, Reisemarschall und eben Geldverwalter diente. Daneben galt es aber auch noch bisher einflußreiche Konkurrenten in Glaubensfragen auszuschalten: so etwa die Franziskaner, die die „Basiskirchen“ in Südamerika aufgebaut hatten und von dort neue Evangelisationen mitbrachten, und die Jesuiten, deren Handschrift nahezu alle Modernisierungen des Zweiten Vatikanischen Konzils trugen.

Relativ gut kam die Opus-Dei-Camarilla um den Kardinal Biaggio und den Ressortchef für „Fragen der Heiligsprechung“, Palazzini, sowohl gegenüber dem Kardinalstaatssekretär wie dem Orden voran: Casaroli wurde systematisch durch päpstliche Weisungen für eine harte Ostpolitik eingemauert, die Franziskaner ein ums andere Mal vom Papst zur Ordnung gerufen, einige von ihnen, wie Leonardo Boff, mit Schreibverbot belegt; aufmüpfige Jesuiten wie der Chefredakteur von 'Civiltá cattolica‘, Bartolomeo Sorge, ans letzte Eck der Republik versetzt, nach Palermo unter die Mafiosi. Schwerer taten sich die Macht-Aspiranten beim IOR-Chef Marcinkus. Der hatte über den dann (und dadurch) pleitegegangenen Mailänder Banco Ambrosiano mehrere Dutzend Millionen Dollar für Wojtylas polnische Solidarność lockergemacht und war überdies, als gebürtiger Litauer, dem Papst auch sonst emotional sehr nah. Verschiedene Versuche, ihn nach dem Zusammenbruch des Banco Ambrosiano auszuhebeln, mißlangen.

1984 errang das Opus Dei einen Teilerfolg: Der Papst nahm Casaroli das Amt des Kanzlers (Governatorato) weg, das sowohl den Vatikan- Handel wie die Post, die Museen, den Radiosender, die Presse und den Haushalt des Kirchenstaates kontrolliert, und übertrug es dem Opus-Dei- Mann Kardinal Baggio; Marcinkus wurde eine Art Ministerpräsident und verlor gleichzeitig die IOR-Leitung. Die Finanzen und die Wirtschaft sind seither voll und ganz von Opus Dei kontrolliert. Anfang der 90er Jahre gingen fast gleichzeitig Casaroli und Marcinkus in Pension.

Dennoch hatten die Escrivá- Adepten in den letzten Monaten noch einmal Ärger: Die Jesuiten, deren Ansehen in Italien durch ihre unverhüllte Kritik an der Katholenpartei DC und durch ihren beherzten Kampf gegen Mafia und gesellschaftliche Mißstände steigt, bauen immer offener einige ihrer Mitglieder zu „papabili“ auf, zu möglichen Nachfolgern Wojtylas. Weshalb Opus-Dei-Leute derzeit aus allen Rohren auf die einflußreichsten Jesuiten feuern, so etwa auf den Mailänder Kardinal Carlo Maria Martini: Der hat das „Hineinregieren weltlicher Organisationen in die Kirche“ ebenso verdammt wie „das Hineinregieren der Kirche in weltliche Angelegenheiten“. Opus Dei hätte im Falle seiner Wahl allerhand zu fürchten.

Da kommt die Heiligsprechung gerade recht: Danach, darüber sind sich alle vatikanischen Auguren einig, ist das Opus „für einige Zeit ziemlich unantastbar. Vatikanologe Giancarlo Zizola: „Sie aus St. Peter einfach hinauswerfen kann dann niemand mehr — es würde ja die Rücknahme einer noch dazu erst vor kurzem erfolgten Kanonisierung bedeuten, und das kann sich kein Nachfolger leisten.“