Venezuelas Präsident klammert sich an die Macht

■ Eine Woche nach der Militärrevolte beruhigt sich Staatschef Perez nur langsam/ Pressezensur und erhöhte Sozialausgaben

Caracas (wps/ips/taz) — Morgengrauen in Caracas: Dutzende von venezolanischen Sicherheitspolizisten stürmen die Büros der wichtigsten Oppositionszeitung 'La Nacion‘, um den Vertrieb des Blattes zu verhindern. Das Drama am Montag morgen war die bisher schwerste Konfrontation zwischen Staatsmacht und Medien seit dem fehlgeschlagenen Putsch vom 3. Februar.

„Wir haben beschlossen, in allen Medien Zensoren einzusetzen, um zu überwachen, daß die Journalisten sich nicht zu Trägern der Thesen der Putschisten machen, und um die Verbreitung subversiver Dokumente zu vermeiden.“ Mit dieser Ankündigung hatte Perez am Samstag die öffentliche Meinung Venezuelas einer beispiellosen Gängelung unterworfen. Eine der Hauptaufgaben der Zensoren: das Erscheinen von Fotos des Putschführers Hugo Chavez zu verhindern. Damit solle seiner „Vergöttlichung“ vorgebeugt werden. Der „Verräter“, so Perez, sei in einigen Blättern mit dem venezolanischen Unabhängigkeitshelden Jose Antonio Paez verglichen worden. Weitere Sorge des Präsidenten: Die Anzahl der Putschisten solle nicht „übertrieben“ werden.

Die Ergebnisse waren am Montag in den Zeitungen 'El Diario de Caracas‘ und 'El Nuevo Pais‘ zu sehen, die beide mit zahlreichen weißen Stellen erschienen. 'El Nuevo Pais‘ gehört, wie auch die ebenfalls zensurbetroffene Zeitschrift 'Zeta‘, dem Perez-Gegner Rafael Pulleo, der nach einem angeblichen Überfall durch die Polizei Ende 1991 in die USA floh. Nach der Erstürmung von 'La Nacion‘ jedoch handelten 17 Chefredakteure dem Staatschef eine Lockerung der Zensur ab. Die staatlichen Zensoren würden abziehen, gab Perez am Montag abend bekannt.

Der Kleinkrieg mit der Presse ist symptomatisch für die Panik, die der Putschversuch in Venezuelas Regierungskreisen ausgelöst hat. Einen Tag nach seinem Scheitern billigte das Parlament eine Reihe von Sondermaßnahmen, unter anderem die unbefristete Aufhebung mehrerer Verfassungsgarantien wie Meinungsfreiheit und die Bestimmung, daß niemand ohne Haftbefehl festgenommen werden darf. Eine Versammlung, auf der pensionierte Militärs über das Schicksal ihrer über 1.000 verhafteten Kollegen hinweisen wollten, wurde verboten.

Doch auf derselben Pressekonferenz, auf der Perez die Zensur der Medien bekanntgab, kündigte der Staatschef auch ein sozialstaatliches „Megaprojekt“ an: Vier Milliarden Dollar sollen in das marode Wohlfahrtssystem des Landes gesteckt werden und die Gemüter der Bevölkerung beruhigen. Denn auch Perez weiß, daß die Motive der rebellierenden Offiziere in den Unter- und Mittelklassen auf Verständnis stoßen, auch wenn eine Militärdiktatur nicht herbeigesehnt wird.

Obwohl ein Wirtschaftsboom im Gange ist — 1991 betrug das Wirtschaftswachstum 9,2 Prozent, mehr als in jedem anderen amerikanischen Land — haben sich seit dem Regierungsantritt von Perez im Jahr 1989 die Lebensbedingungen drastisch verschlechtert. Der reale Pro-Kopf- Kaufkraftverlust zwischen 1988 und 1991 summiert sich laut dem Bericht einer Präsidialkommission auf 55 Prozent — doppelt soviel wie in den acht Jahren davor. Während 1984 nur 11 Prozent der Bevölkerung in „kritischer Armut“ lebten — definiert als die Unmöglichkeit, mehr als die Hälfte der Grundnahrungsmittelbedürfnisse zu befriedigen — ist es heute jede/r dritte. Die Massenverarmung wird um so schmerzhafter empfunden, als die Ölboomzeiten der 60er und 70er Jahre den Aufbau eines Sozialstaates möglich gemacht hatten, der mittels der weitverbreiteten Parteibuchwirtschaft Ölgelder unter die Bevölkerung streute.

Ein anderes Ergebnis: 89 Milliarden Dollar halten reiche Venezolaner im Ausland — so die letztverfügbare Zahl aus einer drei Jahre alten Studie des Morgan Guaranty Trusts. Das ist dreimal soviel wie die gesamte Staatsschuld.

Wie Venezuelas Generalstaatsanwalt Ramon Escovar beklagt, hat sich der verschärfte Verteilungskampf im Rahmen schrumpfender Staatseinnahmen in massiver Korruption niedergeschlagen. Seit Perez' Regierungsantritt hat Escovar über 600 schwere Korrputionsfälle verfolgt. Da der Präsident jedoch die Justiz nie von korrupten Mitgliedern gesäubert habe, sagt er, sei es nur zu wenigen Dutzend Verurteilungen gekommen. Die resultierende Stimmung bringt der Ökonom Guido Zuleta auf den Punkt: „Unter den Massen herrscht das Gefühl, sie würden ausgeplündert.“