Attentate nach Ausnahmezustand

■ Acht Polizisten und mehrere Demonstranten in Algerien erschossen/ Erklärung der FIS/ Boudiaf kündigt Regierungsumbildung an/ USA fordern Rückkehr Algeriens zur Demokratie

Algier (afp) — Nach der Verhängung des Ausnahmezustands in Algerien haben sich die Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der Islamisten und Armee- und Polizeieinheiten weiter verschärft. Gestern meldete der Rundfunk einen „schweren Schußwechsel“ in der Nähe einer Moschee im El-Nasser-Viertel in Algier. Am Montag wurden acht Polizisten umgebracht. Veteranen des Afghanistan-Krieges hätten das Feuer auf zwei Polizeiwagen unweit der Moschee im Zentrum der Altstadt Algiers eröffnet, berichtete am Montag abend der algerische Rundfunk, und dabei sechs Polizisten getötet. In Bordj Menaiel, einer Ortschaft 70 Kilometer östlich von Algier, wurden nach Polizeiangaben zwei weitere Polizisten von Islamisten erstochen, als sie versuchten, Anhänger der Islamischen Heilsfront (FIS) in einer Moschee zu verhaften. Einer der Attentäter sei erschossen worden, teilte die Polizei mit. Als weitere Polizisten anrückten, haben sich die übrigen nach Augenzeugenberichten in der Moschee verschanzt und die anderen Anwesenden als Geiseln genommen. Die Polizei habe die Moschee umstellt.

Bei Zusammenstößen in der Stadt Dellys, 90 Kilometer östlich von Algier, erschoß die Polizei mindestens zwei Demonstranten, wie Bewohner der Stadt mitteilten. Viele seien schwer verletzt worden. Polizei, Gendarmerie und Armee patrouillierten durch die Stadt. Die Demonstranten hatten zum Gericht marschieren wollen, um einen Prozeß gegen ein FIS-Mitglied zu sprengen.

Die FIS rief in einer ersten Reaktion auf die Verhängung des Ausnahmezustandes das Volk auf, nicht zu resignieren und seine Rechte weiterhin einzufordern. Die neue Staatsspitze werde zusammenbrechen, weil sie sich auf brutale Gewalt stütze und ihr die legitime Grundlage fehle, hieß es in einer Erklärung, die in Algier abgegeben wurde. Das Projekt des islamischen Staates werde siegreich sein, gleichgültig wieviel Opfer es geben werde, hieß es weiter. Die Erklärung der Heilsfront war vom Vorsitzenden der nationalen Informationsausschusses, Abderrazak Radjam, unterzeichnet, der polizeilich gesucht wird.

Der Vorsitzende des Hohen Staatsrates, Mohammed Boudiaf, verteidigte am Montag in einer Fernsehansprache die Verhängung des Ausnahmezustands. Den Unruhestiftern seien dadurch die Möglichkeiten zur Gewaltanwendung genommen worden, sagte er. Es war die erste offizielle Bilanz der jüngsten Unruhen. Erneut kritisierte Boudiaf die FIS, die die „ausgestreckte Hand der Versöhnung“ zurückgewiesen habe und zur Gewalt zurückgekehrt sei. Die Rechte der algerischen Mehrheit würden von dem Ausnahmezustand nicht berührt. Die Heilsfront habe die Demokratie benutzen wollen, um sie zu zerstören. Der Aufruf an die Jugend, sich den Ordnungskräften entgegenzustellen, sei „unverzeihlich“, fügte Boudiaf hinzu. Dabei sei der Islam gegen jeden Extremismus.

Er habe Regierungschef Sid Ahmed Ghozali beauftragt, das Kabinett umzubilden. Es sei das Ziel, eine effektive und „eingeschränkte“ Ministermannschaft zu bilden, sagte Boudiaf nach einer Meldung der Nachrichtenagentur 'aps‘. Dieser Teil der Rede war nicht im Fernsehen ausgestrahlt worden. In der gleichen Passage kündigte er die Gründung einer „Patriotischen Bewegung“ an, die offenbar die frühere Einheitspartei FLN ablösen soll. Weiter stellte Boudiaf ein Programm zur Wiederbelebung der Wirtschaft in Aussicht. Die Versorgung des Landes sollte „ohne Preiserhöhungen“ gewährleistet werden. Die Staatsausgaben müßten gesenkt werden.

Nach einer Mitteilung des Innenministeriums hat der Hohe Staatsrat „das Verfahren zur Auflösung der Islamischen Heilsfront“ eingeleitet. Sie solle „nach den Bestimmungen des Gesetzes über die politischen Parteien erfolgen“ und sei durch „zahlreiche Gesetzesverstöße“ der FIS begründet.

Die USA forderten am Montag eine schnelle Rückkehr Algeriens zur Demokratie. „Wir sind beunruhigt über die Zunahme der Gewalt und den Verlust von Menschenleben“, sagte der Sprecher des Außenministeriums, Richard Boucher, in Washington.