Konzertierte Aktion produziert heiße Luft

■ Nicht erst seit dem gestrigen Bericht des Nationalen Komitees zur Situation der Umwelt in Deutschland ist klar, daß es die für die Weltumweltkonferenz in Rio angepeilten Konventionen zum...

Konzertierte Aktion produziert heiße Luft Nicht erst seit dem gestrigen Bericht des Nationalen Komitees zur Situation der Umwelt in Deutschland ist klar, daß es die für die Weltumweltkonferenz in Rio angepeilten Konventionen zum Umweltschutz nicht geben wird. Und das Bonner Umweltministerium, dem international der Ruf des Vorreiters vorauseilt, wird zunehmend unverbindlicher.

Selten hat es die Bonner Ministerialbürokratie so einfach gehabt, auf internationalem Parkett zu glänzen. Die Bundesrepublik muß wie alle anderen UNO-Staaten zur internationalen Umweltkonferenz (UNCED) im Juni in Rio einen Nationalen Bericht zur Situation der Umwelt in Deutschland vorlegen. Ein Perspektiv-Kapitel für den Bericht hatte sie schon fertig, das sich als Blaupause für eine ökologische, marktwirtschaftliche Entwicklung einer Industrienation las. Bei der Diskussion des Berichts gestern auf dem Bonner Petersberg zeigte sich dann aber, daß die Bundesregierung von ihren eigenen guten Ideen nicht mehr allzuviel wissen will (Bericht unten).

Experten des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik in Berlin hatten sich im Herbst 1991 die Mühe gemacht, für die Minister Töpfer und Spranger ein Konzept zu erstellen, mit dem der „Innovationsführer“ Deutschland eine ökologisch verträglichere Marktwirtschaft als konkretes Vorbild für die zweite und dritte Welt entstehen lassen könnte. Keine Revolution — nur ein Zusammentragen von wirtschaftspolitischen Vorschlägen und ökologischen Konzepten, die seit Jahren auch in Bonn gehandelt werden. In der Gesamtschau allerdings eine bemerkenswerte Rohskizze für die angeblich erstrebte ökologisch-soziale Marktwirtschaft. Von der Regierung so übernommen, hätte Bundesumweltminister Töpfer sich im Juni in Rio mit Fug und Recht hinstellen und sagen können: Wir wollen keine Welt mit unterschiedlichen Lebenschancen in Nord und Süd. Wir wollen, daß alle Menschen auf diesem Planeten eine Chance bekommen.

Schon Anfang Dezember stellte sich heraus, so konkret hatten das die Minister Töpfer und Spranger gar nicht gemeint. Das Sieb der Ministerialbürokratie arbeitete wieder unerbittlich und hielt so sperrige Begriffe wie „ökologische Steuerreform“, „Verzichtspotentiale“ oder „globale Wachstumsbegrenzungen“ zurück. Auf abstraktem Niveau wurden statt dessen Perspektiven fabuliert. „Es gibt instrumentell keinen Konsens“, wie eine nahe Beobachterin den Streit um wirkungsvolle politische Maßnahmen beschreibt. Seit Dezember ist vom fabulierten Perspektiv-Kapitel nur noch heiße Luft übriggeblieben, in die Beamte hin und wieder den einen oder anderen kritischen Begriff eingestreut haben.

Dabei hatte im Sommer 91 alles so hoffnungsvoll begonnen: Die Bundesregierung wollte erklärtermaßen mit ihrem Bericht in Rio glänzen. Damals stampfte Kanzler und Regenwaldliebhaber Kohl ein „Nationales Komitee zur Vorbereitung der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung“ aus dem Boden. Das Komitee sollte den jetzt umstrittenen Nationalen Bericht absegnen und ihm zusätzlich eine Aura gesamtgesellschaftlicher Anstrengung verleihen. Umweltschützer und Kirchenleute gehören genauso zu dem Gremium wie Industrievertreter und Landwirtschaftslobbyisten.

Welche immense Chance zur Positionsbestimmung vertan wurde, zeigt erst der zweite Blick auf das jetzt weichgespülte Perspektiv-Kapitel: „Nationale und globale Umweltprobleme zeigen, daß unser bisheriges Wachstumsmodell und das in den Industrieländern vorherrschende Wertesystem weder in den Industrieländern noch weltweit eine langfristig tragfähige Entwicklung ermöglichen“, lautete der erste Satz— als noch nicht jede Schärfe herausgebügelt war. Gestern nun sollte das Komitee einem Bericht zustimmen, dessen erster Satz sich so las: „Die intensiven Anstrengungen von Staat, Wirtschaft, Verbänden und Bürgern haben in den letzten 20 Jahren den Umweltschutz in der Bundesrepublik ein gutes Stück vorangebracht... Wichtige Voraussetzungen für eine dauerhafte Entwicklung sind geschaffen.“

Ein Unterschied wie Tag und Nacht. Und er zieht sich durch den gesamten Bericht. Eine „ökologische Steuerreform“ beispielsweise, bei der endlich Arbeit steuerlich entlastet und Umweltsauereien und Ressourcenverbrauch steuerlich belastet werden könnten, wurde gestrichen. Direkte Abgaben und Steuern für Autofahrer und Flieger? Fehlanzeige. Geschwindigkeitsbegrenzung? Wir planen nur Beschleunigungsgesetze. Der ökologische Anschlag auf das Allerheiligste der Volkswirtschaftler, Karl Schillers „Stabilitäts- und Wachstumsgesetz“ aus dem Jahr 1967? Nicht mehr auffindbar. Selbst die klassischen Folterinstrumente der staatlichen Handelspolitik, Aus- und Einfuhrverbote, verbindliche Öko-Standards in der Produktion und Hermes-Bürgschaften nur für ökologisch verträgliche Exporte will sich Exportweltmeister Deutschland zum Nutzen der Umwelt nicht leisten. Wieder eingepackt. Und nach der scharfen Kritik an den „Machtpositionen der Altindustrien“ und der „Energiemonopole“, die die Berliner Forscherinnen und Forscher im Bericht untergebracht hatten, wagt man schon gar nicht mehr zu suchen.

Einen besonders wunden Punkt hatten die Berliner Experten beim internationalen Agrarhandel getroffen. Denn die Bürger der EG nützen neben den Feldern der EG noch einmal erhebliche Flächen in der dritten Welt. „Im Gegenzug liefern die Industrieländer ,heruntersubventionierte‘ Nahrungsmittel in den Süden (1990 wandte die EG rund 20 Milliarden Mark für Exportsubventionen auf, die Red.) oder gewähren kostenlose Nahrungsmittelhilfe, die den lokalen bäuerlichen Anbau wirtschaftlich gefährden...“

Eine klare und einleuchtende Analyse. Und der Aufschrei der Agrarlobby war vorprogrammiert. Selbst nach einer ersten verbalen Entschärfung schimpfte der Deutsche Bauernverband, das Landwirtschaftskapitel werde dem Thema „nicht gerecht, ist unvollständig und teilweise sachlich falsch“. Das Hauptproblem sei doch nicht die umweltbelastende Produktion und der reale Weltagrarhandel. Hauptproblem dagegen sei, „die Ernährung einer stark wachsenden Bevölkerung zu gewährleisten, das heißt die Weltagrarproduktion in den nächsten zehn Jahren zu verdoppeln“.

Gut gebrüllt. Die Ministerialbeamten hatten es kaum vernommen, als sie zur Tat schritten. Gestern las sich das Agrarkapitel für sie schon besser: „Die Weltagrarpolitik steht vor gewaltigen Herausforderungen.“ An allererster Stelle nennt die Regierung nun „die Steigerung der Weltagrarproduktion“ und an zweiter Stelle „die überproportionale Steigerung der Agrarproduktion in bestimmten Regionen (Entwicklungsländern) bei Rückführung der Überproduktion in andere Regionen der Welt (Industrieländer)“. Unter anderem könne dann auch an eine Neuordnung der EG-Agrarpolitik gedacht werden.

Die Mitglieder des Nationalen Komitees, die die „heiße Luft“ gestern absegnen sollten, hatten hin und wieder schon den Eindruck gewonnen, nur als Staffage mißbraucht zu werden. Doch das wird den honorigen Herren schon häufiger passiert sein. Viel schlimmer ist, daß die Bundesrepublik auch an dieser Stelle zeigt, daß sie nicht gewillt ist, die ihr zugedachte ökologische Vorreiterrolle zu spielen. Immer wahrscheinlicher gibt es damit keine konkreten Vorschläge der Industrieländer auf dem Umweltgipfel in Rio. Doch genau die hatte gestern noch einmal der peruanische Außenminister Augusto Blacker Miller während seines Besuchs in Bonn eingefordert.

Vorschläge allein reichen natürlich nicht. Ohne konkrete und glaubhafte Veränderungen am eigenen Lebensstil, die sich auch in den Dokumenten wiederfinden, behalten die von den Ministerialbeamten gerupften Berliner Wissenschaftler recht. Die Bundesrepublik funktioniere derzeit „als schlechtes Vorbild durch bedenkenlosen Umgang mit der belebten und unbelebten Umwelt“. Hermann-Josef Tenhagen