“Ein Maß für Hilfe, nicht für Rache“

■ Gestern plädierten Anklagevertreter und Rechtsanwalt im Mord-Prozeß

Mit den Plädoyers von Staatsanwalt Frank Repmann und dem Bremer Rechtsanwalt Andreas Wosgien ging gestern vor dem Bremer Schwurgericht der Prozeß gegen den des dreifaches Mordes angeklagten Gerhard Sch. in die Endphase. Überraschend war die harte Strafforderung des Staatsanwaltes. „Hier sind so viele Faktoren strafverschärfend“, erklärte Repmann in seiner Zusammenfassung, „daß man auf Strafmilderung verzichten kann.“ Er verlangte „lebenslänglich in allen drei Fällen“.

Der Staatsanwalt hielt es für erwiesen, daß Habgier das Hauptmotiv des 28jährigen Gerhard Sch. gewesen ist, zwischen 1987 und 1989 drei Prostituierte ermordet und ausgeraubt zu haben. „Erschwerend kommt hinzu, daß der Geldmangel, unter dem Herr Sch. litt, selbstverschuldet war. Nach Lage der Gutachten sei der Angeklagte schuldfähig, seine perversen Gedanken seien kein Indiz dafür, daß der Mann krank sei und aus unkontrollierter Triebhaftigkeit gehandelt habe. „Ich habe während der Untersuchung mit so vielen Prostituierten über perverse Praktiken ihrer Kunden gesprochen, da ist das, was hier von Herrn Sch. bekannt ist, noch harmlos. Und die werden auch nicht alle zu Mördern“, sagte Repmann.

Rechtsanwalt Andreas Wosgien interpretierte die Gutachten anders. Er könne nicht verstehen, daß einerseits dem Angeklagten „schwerste perverse Abartigkeit“ attestiert wird, andererseits aber nicht die Konsequenz einer Schuldunfähigkeit gezogen würde. Der Richter kann einen Angeklagten schuldunfähig und damit freisprechen, wenn er aus krankhaften seelischen Störungen oder aus einer anderer seelischen Abartigkeit heraus unfähig ist, sein Unrecht einzusehen. In diesem Sinne plädierte Wosgien auf Freispruch mit anschließender Zwangseinweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus.

Die Diskrepanz zwischen den psychologischen Gutachten und den juristischen Folgen führte Wosgien auf eine völlig überaltete Rechtssprechung zurück. Wenn es überhaupt einen Sinn habe, Schuldunfähigkeit im Strafgesetzbuch zu verankern, dann auch mit der Konsequenz, daß sie nicht nur auf Kinder und Schwachsinnige angewandt würde. „Ein solches Urteil wäre eine Revolution und würde der Bremer Rechtsgeschichte gut anstehen“, erklärte der Anwalt gegenüber der taz.

Im Plädoyer appellierte Wosgien, „kein massenopportunistisches, sondern ein mutiges Urteil“ zu sprechen. „Bestimmen Sie mit Urteil das Maß der Hilfe, nicht das Maß der Rache.“ mad