: Hysterie im Schlüpfer
■ Berlins größte Diseuse Georgette Dee premierte im Kreuzberger Kama-Theater mit ihrem neuen Programm »Tödliche Nächte«
Sekt oder Selters. Mit Georgette ist das ja immer so eine Sache. Wenn sie will, kann sie so unbeschreiblich großartig sein, daß selbst der fingerfertigsten Rezensentin die Worte fehlen. Wenn sie aber einmal keine Lust hat, womöglich schon griesgrämig auf die Bühne schleicht, oder gar vor Permieren-Lampenfieber das Saufen vergißt — dann kann sie auch schon mal so grauenhaft tief abstürzen, daß selbst der boshaftesten Kritikerin die Worte im Halse stecken bleiben.
Am vergangenen Dienstag hatte Georgette Dee Premiere im Kama- Theater und sie hatte die Hose gestrichen voll. »Ist es nicht schön«, fragt die weltgrößte Diseuse, »wenn man bei einer Premiere vor Hysterie schier aus dem Schlüpfer fliegt? Das sehen Sie jetzt nicht. Das ist jetzt aber so!« Sagt's, stolpert elegant über eine Falte im Teppich — »Bei der Probe war die Bühne noch völlig glatt!« — und legt anschließend einen Abend hin, der so unerwartet grandios war, daß es eine Art ist. »Warum soll er nicht mit ihr vor der Türe stehen?« fragt sie kokett, lehnt sich an den schwarzen Flügel des Herrn Terry und singt und singt und singt. Und der Herr Terry spielt und spielt und spielt. Und überhaupt.
Da gibt es diese »grundsätzliche Verneinung des Gefühls«. Erklärt die Dee. Der Mensch ist eben nicht nur gut. Er ist gut und böse zugleich. Wie die Diseuse selbst, die nun endlich den Hals der bereitgestellten Rotweinflasche kappt, uns »Kaltes Blut, sagt die Schips« gibt und dabei schon mal den vom Publikum für später in realiter erhofften Schwips markiert. Ab da wird es mit jedem Viertel um ein viertel schöner.
Ganz losgelöst plaudert Georgettchen von der Liebe, dem Leben als solchem und natürlich von ihrer Leidenschaft für alles, was sich unterhalb der Gürtellinie ihres Abendkleides abspielt. Hetzt über betrogene Frauen, für die der liebe Gott schließlich eigens die Matrosen geschaffen habe, plaudert über ihre Sammeltassen, die sie angeblich noch alle im heimischen Schrank hat und singt dazwischen wunderschöne Balladen, martialische Songs und herrliche Melodien. Ihr kongeniales Alter ego, Herr Terry Truck, darf nicht nur gelegentlich vom süßen Blut aus der Flasche nippen, hin und wieder läßt er sich auch zu einem kleinen, aber trotzdem feinen Duett hinreißen. Was wäre die Dee ohne den Truck! Was wäre der Truck ohne die Dee? Wie gut, daß es sie beide gibt.
Sie haben sich an Weill rangemacht. Und sie haben ihn im Griff. Das ist vielleicht der gesangliche Höhepunkt des Abends: Georgette als rachelüsterne Seeräuberbraut oder auf dem Weg »to the next Whiskey-Bar« — oh, don't ask wy! Aber auch die eigenen Songs, die diversen anderen Anleihen — sie haben es alle in sich. Musikalische Ratschäge, wie »Sei doch lieber lustig/ statt verkatert und krustig«, private Bekenntnisse wie »Ich küsse heiß den warmen Sitz/ auf dem Du grad' gesessen bist« oder das kleine Liebeslied Robert — ach, es ist eine Wonne. Selbst die abgenudeltsten Kleinkunst-Gassenhauer zelebriert Georgette Dee mit der ihr eigenen Klasse: »Ich werde jetzt außer mir geraten!« warnt sie, hebt das linke Bein über den Mikrophongalgen — »Komisch, links da tanzt es, rechts da spannt es!« — und schmettert behäbig can-can-pumpend Für eine Nacht voller Seligkeit.
Und wie sie redet — stundenlang will man ihr beim Plaudern zusehen. Möchte hingebungsvoll an ihren säuselnden Lippen hängen und in ihre spezielle androgyne Welt abtauchen. Wie sie gedanklich in die Restaurantpolster pupst, von kalorienarmen China-Menüs berichtet und über den Sinn des Lebens philosophiert! Dabei bricht die Gute ihren eigenen Bühnenrekord im Long-Size-Rauchen, ascht treffsicher in den Truckschen Flügel — »keine Angst, da steht ein Aschenbecher!« — und räkelt sich hin und wieder genüßlich in den nebenstehenden Polstern.
Ihr letzte Rolle soll übrigens einmal die »Kameliendame« werden. »Denn eine letzte Rolle muß man haben«, erfahren wir, und sei es nur, um aus ihr zu fallen. »Komischer Mensch«, raunt es da in der kurzen Pause von zwei Reihen hinter mir, »so'ne komische Mischung.« Recht hat die junge Zuschauerin im geblümten Wallhalla, die wohl gerade eben ihre erste Begegnung mit der dritten Art hatte. Diese einzigartige Mischung aus male und female, aus Tuntenbarock und herer Kunst, das gerade hebt die Dee aus der Menge der Stöckelsteher heraus, katapultiert sie hinein in den Diseusenhimmel. Dort wird sie daeinst sitzen zur Rechten der Dietrich... und so weiter; aber so weit ist es noch lange nicht. Auch wenn sie neuerdings Grabsteine (!) durch das nächtliche Berlin schleppt.
Viel zu schnell rauscht der Abend vorüber. Keine Spur von Hysterie ist mehr im Schlüpfer zu spüren als Georgette nach zwei Stunden rückenfrei zur zweiten Zugabe auf die Bühne schreitet. Jetzt, wo »das Geld abgelaufen« ist, geht es noch einmal so richtig in die Vollen: »Stellen Sie sich mal vor, Sie befänden sich auf einem Kreuzfahrtschiff...«, haucht es aus den riesigen Boxen und schon johlt und jauchzt das allwissende Publikum. Da spielt der Herr Terry, während wir sinken, noch ein letztes mal seinen Chopin — »och, das haben Sie sich doch vorher überlegt...«— und Georgette macht sich auf ihren Weg ins Schiffsrestaurant: Alles von mir — es ist ihr schönstes Lied: »Warum denn nicht alles von mir?/ Keine Angst vor großen Worten/ Oh, Baby, don't cry, denn jetzt ist's vorbei...« Da hol' ich noch einmal tief Luft, und dann nehme ich ein letztes Mal alles von ihr. Denn das muß ja jetzt wieder sooo lange halten. Es nahen »tödliche Nächte«. Klaudia Brunst
Noch bis zum 10. März können Sie Georgette Dee und Terry Truck in ihren Tödliche Nächten begleiten. Im Kama-Theater in der Schwiebusser/ Ecke Friesenstraße spielen und singen sie täglich um 20 Uhr.
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