Eine Medienleiche: Rockradio DT4U

Zur Kooperation gezwungen: die Jugendradios von SFB und ORB — und wo bleibt DT64?  ■ Von Andreas Becker

Berliner Radiohörer brauchen langsam das dritte Ohr, wollen sie im Äthergerangel noch durchblicken. Orientierung bot in letzter Zeit nur noch das Durchzählen auf der Skala von rechts nach links. Ganz rechts befindet sich RTL-Radio — lauter aufgedrehte Plappertaschen mit angeblich 20 Prozent Einschaltquote. Auf der nächsten Station weiter links befand sich bis vor knapp einem Jahr Radio 100. Seit der Alternativsender von Radio Energy gekapert wurde, ist auch auf dieser Frequenz nur noch dumpfes Dudeln zu vernehmen.

Die Rettung für jüngere Menschen mit wenigstens minimalen Ansprüchen an ein Radio war fortan der dritte Sender von rechts: DT64. Für viele Westhörer war auch dies nur ein fauler Kompromiß, erzwungen durch eine Hörfunkreform beim SFB, der die wohl beliebteste Jugendsendung (mit erweitertem Jugendbegriff bis 40) in Berlin, den SF- Beat, über Nacht aus dem Programm warf.

Radio 4 %

Eingetauscht wurde „der Beat“ gegen Radio 4U (sprich: Rädiju For Juh). Der Name ist Programm: Man möchte unterhalten, viel tolle Musik spielen und keinem groß wehtun. Redakteur Hendrik Bussiek verteidigt das Konzept: „Öffentlicher Rundfunk muß sich durch hohe Einschaltqoten gegenüber dem Gebührenzahler legitimieren.“ Die Quote von Radio 4U liegt bei vier Prozent.

Legitimieren soll sich seit 1.1.92 auch DT64. Während Sachsen ein schützendes Dach bis zum Juli bot, fühlen sich die Berliner DT-Hörer als Opfer einer parallelen Salami- und Hinhaltetaktik des ORB. Dieser sendet seit Beginn des Jahres auf den Brandenburger und Berliner Frequenzen zwischen ausgewählten Sendungen von DT64 sein Rock-Radio-B. Aus der Sicht des ORB stellt sich das genau umgekehrt dar: Er bietet DT64 auf seiner Frequenz die Möglichkeit, weiter zu senden, quasi als Gast.

Mit nur acht Redakteuren, die meisten abgewandert von DT64, entfacht Rock-Radio-B eine solche „Power von der Eastside“ (Werbespruch von DT64), daß es inzwischen zu einer handfesten Konkurrenz für die Macher von DT64 geworden ist. Die ehemaligen Kollegen scheinen nicht zufällig in einem anderen Gebäude in der Ostberliner Nalepastraße zu sitzen, einige Minuten Gehweg entfernt. Man spricht nicht mehr miteinander, jedenfalls nicht über eine gemeinsame Zukunft auf einer Wellenlänge.

DT64 empfängt „seine“ Hörer seit letzter Woche, nachdem die tägliche Dosis Rock-Radio-B von drei auf zwölf Stunden erhöht wurde, mit den Worten „willkommen daheim“. Michael Schiewack und Ulrich Clauß, Chefredakteure bei DT, verstehen die Welt nicht mehr. Die Begrüßungsworte, die beim Rock-Radio auf wenig Humor stoßen, seien nur ein Scherz und außerdem dazu da, DT64 wiederzuerkennen: „Wir haben die Ost-West-Integration geschafft. Jetzt sollen wir hintenrum rausgedrängt werden. Warum vereinigt man zuerst das Radio und nicht die Müllabfuhr von Berlin und Brandenburg?“ Die neuesten Zahlen belegten eine Einschaltquote von über acht Prozent in ganz Berlin.

Im frisch renovierten Block G auf dem alten Gelände des Rundfunks der DDR, in der Redaktion der Brandenburger, ist die Stimmung auch nicht gerade ausgelassen. Man befindet sich, durch die Vorgaben des Medien-Staatsvertrages Berlin/Brandenburg, in der Zwangslage, mit Radio 4U über ein gemeinsames Programm zu verhandeln. Die Verhandlungen gestalten sich schwierig, weil eigentlich beide Wellen nicht so recht zusammenpassen wollen und niemand weiß, warum und für wen man eine Art Wossi-Programm machen sollte. Etwa für den ideellen Gesamtberliner?

Dudel 4 U?

Erfolgsmeldungen von SFB und ORB über eine Art „Rock-Radio-4U“, das schon vor zwei Wochen senden sollte, waren jedenfalls voreilig. In der ersten Runde der Gespräche zwischen beiden Redaktionen hatten die Westberliner mit fünfzehn Jahren Erfahrung im Jugendradio geprahlt und versucht, ihr Dudelkonzept durchzusetzen. Bei erneuten Gesprächen in der letzten Woche waren die Cowboystiefelträger von 4U dann plötzlich wesentlich kompromißbereiter. Dem SFB liegt viel an der besonders großen Reichweite der Frequenz von DT64. Bis zum 15.Februar soll, laut dem Willen der Intendanten, ein gemeinsames Programmkonzept entworfen sein.

Silke Hasselmann, vormals DT64, jetzt Chefin bei Rock-Radio-B, verbreitet vorsichtigen Optimismus. Sie sieht zumindest eine Chance für ein gutes Radio aus Ost und West, wenn die Westseite bereit ist, nicht nur Kompromisse zu erwarten, sondern auch anzubieten. Für Jürgen Kuttner, Gründer der DDR- taz, jetzt bei Rock-Radio-B, ist der Zug für DT64 in Berlin und Brandenburg abgefahren. Gleichwohl verfolgt er auch die Verhandlungen mit den SFBlern mit ziemlichem Mißtrauen. Die Fans von DT64 fühlen sich schon heute als die Verlierer des Medienpokers zwischen Potsdam und Berlin. Sie beschweren sich telefonisch in „Käpt'n Kirk Kuttners“ Sendung Talk-Radio darüber, daß sie DT64 nur noch den halben Tag hören können. Daß aber auch die Hardcore-Fans langsam zwischen den Fronten aufgerieben werden und ihnen die Argumente ausgehen, beweist der Vorwurf einiger, Rock-Radio-B sei eine Kopie von DT64.

Daß der Ersatz für DT64 in der Region um Berlin das Original inzwischen zahm klingen läßt, die in Musik-Härtegraden und in der Intelligenz der Wortbeiträge beim täglichen Vergleich deutlich besser abschneiden, macht die Lage für die demonstrierenden Hörer nur noch komplizierter. Seit dem 1. Januar kämpfen sie hier mit DT64 um das Leben einer medienpolitischen Leiche. Dennoch geben sie nicht auf, organisieren Demonstrationen und wollen die Ministerpräsidenten bei ihrer nächsten Konferenz Anfang März noch mal für ein Fünfländer-DT64 unter Druck setzen.

Karsten Zummack von den Berliner DT-Freunden kann sich eine Zusammenarbeit zwischen Rock-Radio-B und dem SFB kaum vorstellen: „Ich sehe keine Gemeinsamkeiten, nur Unterschiede. Der SFB-Intendant redet immer noch vom Kommunistensender DT64. Da steigt doch eher Mecklenburg-Vorpommern zu DT64, Rock-Radio-B und dem MDR ins Boot.“ Einen Umzug nach Leipzig hält allerdings auch Zummack „für den Tod von DT64“.