Räuber Hotzenplotz

■ Terry Hands inszeniert in Zürich „Arden von Faversham“

Das Schauspielhaus Zürich versteht sich seit ein paar Spielzeiten als ein Theater in größter Finanznot. In der auslaufenden Saison des vorzeitig aus dem Amt scheidenden Intendanten Achim Benning scheint man dem Publikum vor Augen führen zu wollen, wie lendenschwach die Resultate ohne die gewünschte Penunze daherkommen müssen. Da gab es einen langweiligen Pinter-Abend unter der Regie von Peter Palitzsch, und Dieter Giesing lieferte eine selbst handwerklich dürftige Inszenierung von Klaus Pohls Die schöne Fremde ab. Jetzt wird diese abschüssige Fahrt fortgesetzt: Terry Hands, langjähriger Leiter der renommierten Royal Shakespeare Company, wurde eigens von der Insel geholt, um die selten gespielte Moritat eines Anonymus aus der Shakespear-Zeit Arden von Faversham zu inszenieren.

Der Stoff ist ein Reißer, wie ihn nur noch die Boulevardpresse kennt: Ein reicher älterer Herr heiratet eine junge Frau; sie ist in einen Jungen vernarrt, beide wollen den Alten beiseite schaffen. „Die Ehe ist ein Wort, die Liebe ein Gott“, läßt dazu der unbekannte Autor die blutjunge Alice sagen, und sein Stück besteht aus einer Reihe von Versuchen, das „Wort“ aus der Welt zu schaffen. Die Quelle entstammt einer Chronik des sechzehnten Jahrhunderts. Die Geschichte des Arden von Faversham enthält in wüster Mischung die Ingredenzien der menschlichen Seele, sie wirkt wie ein Steinbruch, in dem die widersprüchlichen Regungen, anders als beim Zeitgenossen Shakespeare, noch unsortiert nebeneinanderliegen. Liebe, Lust, Neid, Haß, Besitzgier und Verzweiflung prallen aufeinander. Streit und Versöhnung, Haß und Angst lösen einander ab. Diese Komplexität der Charaktere, vermerkt der Dramaturg und Übersetezer Reinhard Palm im Programmheft, mache die Figuren modern und habe zur Aufführung verführt.

Auf der Bühne ist von all dem leider wenig zu sehen. Schon die Sprache ist viel zu glatt, auch wenn sie den Schauspielern beim schnellen „englischen“ Sprechen am Gaumen kleben bleibt. Schockierend aber ist vor allem der konzeptionslose Umgang mit den Figuren. Alice, die die Fäden spinnt und die Mordgeschichte vorantreibt, ist bestenfalls eine eindimensionale Furie. Wenn Katrin Thurm Aufträge an die gedungenen Gauner erteilt und im Kopfumdrehen ihren Mann umschwärmt, wenn sie sich über den Mordverdacht des Lords empört und im nächsten Moment dem Himmel für ihre Verturteilung dankt, reißen keine Abgründe auf, weil die Umschwünge nur behauptet statt einfallsreich gespielt werden. Ob sie sich dem jungen Mosbie (Frank Demenga) oder dem alten Arden an den Hals wirft, macht keinen Unterschied, wo Täuschung, wo Empfindung herrscht, ist nicht erkennbar. Sie zeigt aber auch keine Frau, die nur in ihren Lügen leben kann; dazu fehlen die leisen Töne, die aufblitzenden Selbstzweifel und eine Dimension, die die Oberflächlichkeiten unheimlich machen könnte.

Es ist, als schaute man dem alten Steh- und Dröhntheater zu, über das Brecht nach dem Krieg so entsetzt war. Die Figuren sind entweder dumm oder redlich: Wer etwas zu sagen hat, tritt vors Publikum an die Rampe; wenn einer sich nachts fürchtet, heulen Hunde zur Untermalung. Peter Ehrlich setzt die Leiden seines Arden Wort für Wort in hohle Poesie um. Weil das alles noch nicht peinlich genug ist, spielen die geheuerten Killer Räuber Hotzenplotz (mit Fluchtweg durchs Publikum), es gibt Schlägereien und — Achtung Shakespear-Zeit — eine (schlecht gebaute) Fechtszene. Einhundertfünfzehn Minuten wartet man auf den erlösenden Mord, auf das Todesurteil für die Mörder und die Moral von der himmlischen Gerechtigkeit.

Johan Engels hat die Akteure in überladene historische Kostüme gepackt, man trinkt Bier aus Bleihumpen, wenn Arden sich seine Verzweiflung aus dem Leib rütteln will, fährt ein Gitter herein. Unsere Enttäuschung und unseren Theaterschmerz kann auch der Schnee, der am Ende vom Bühnenhimmel rieselt, nicht lindern. Gerhard Mack

Schauspielhaus Zürich: Arden von Faversham. Regie: Terry Hands.