ESSAY
: Khomeinis Schatten über dem Weißen Haus

■ Wirkliche und imaginierte Syndrome in der US-Außenpolitik

In der Diskussion um den Golfkrieg und seine Nachwirkungen wird oft behauptet, Bush habe den Konflikt mit dem Irak dazu genutzt, um die USA vom „Vietnam- Syndrom“ zu befreien — also vom Unwillen der amerikanischen Öffentlichkeit, an großangelegten Militäroperationen in der Dritten Welt beteiligt zu sein. Dabei ist der Begriff des „Vietnam-Syndroms“ nicht neutral, denn er stellt Zurückhaltung gegenüber kriegerischen Handlungen als krankhaft dar. Aber auch die Aussage, das „Syndrom“ sei überwunden, führt in die Irre.

Erstens sind die Amerikaner heute nicht militaristischer oder kriegerischer als vor fünf oder zehn Jahren, trotz des Erfolges gegen den Irak und der niedrigen eigenen Verluste an Menschenleben. Wenn überhaupt, hat der Golfkrieg ihren Drang nach militärischer Aktivität im Ausland verringert — und kombiniert mit dem Zusammenbruch der Sowjetmacht ist ein auffälliges Desinteresse an internationalen Fragen insgesamt festzustellen. Auslandshilfe wird zurückgestutzt, US-Diplomaten erklären gegenüber Europäern ihre Unbekümmertheit über Jugoslawien oder Islamismus in Nordafrika, und sie ziehen die europäische Behauptung, eine gemeinsame Außenpolitik zu haben, viel öffentlicher ins Lächerliche als zuvor. Sie warnen sogar arabische Führer, daß sie „beim nächsten Mal“, bei einer erneuten Golfkrise, auf eine erneute Beteiligung nicht mehr so erpicht sein werden.

Amerikas Desinteresse an der Welt

Es gibt noch einen anderen Grund, warum die Aussage, das „Vietnam- Syndrom“ sei überwunden, in die Irre führt: Sie stellt etwas als ungewöhnlich oder als Bruch mit amerikanischer Politik dar, was tatsächlich eine kontinuierliche Eigenschaft der US-Politik in nahezu ihrer gesamten Geschichte ist — nämlich die Zurückhaltung, auf anderen Kontinenten größere Kriege zu führen.

Diese Haltung wird manchmal „Isolationismus“ genannt, aber dieser Begriff geht am Wesentlichen vorbei: Amerika kann sich nicht isolieren, es ist seit vielen Jahrzehnten an der Weltwirtschaft beteiligt, genauso wie Japan heute, aber dies hat nicht immer größere militärische und politische Verpflichtungen mit sich geführt. Woodrow Wilson und Franklin Roosevelt wußten genau, wie schwierig es war, Amerikaner zur Teilnahme an den Kriegen anderer Kontinente zu bewegen. Die direkte Kriegsbeteiligung in Europa ab 1941, wie auch die in Vietnam, ist eine Ausnahme.

Auch in Zukunft wird es keine von den USA verwaltete und überwachte „Neue Weltordnung“ geben — eher ein selektives Engagement, bestimmt von nationalen Interessen der USA, wie sie in Washington interpretiert werden. Die USA werden ein normaleres, nationalistischeres Land werden, kein hegemonial internationalistisches.

Heimliche Obsession: Iran

Am weitesten in die Irre führt das Gerede von der Überwindung des „Vietnam-Syndroms“ jedoch, weil es das wesentliche Problem Washingtons im Golf verfehlt und auch den Grund, warum dieses Problem trotz des Erfolges gegen den Irak nie überwunden wurde. Dieses Problem ist die Beziehung der USA zum Iran.

In der unmittelbaren Nachkriegszeit nach 1945 war der Iran ein Land großer US-Erfolge: 1946, in der ersten Krise des Kalten Krieges, zwang Truman Stalin zum Abzug seiner Truppen aus Iranisch-Aserbaidschan und Iranisch-Kurdistan; 1953 organisierten CIA-Agenten den Sturz des nationalistischen Regimes von Muhammad Musadiq, wodurch nicht nur jede Gefahr sowjetischen Einflusses beseitigt, sondern auch Großbritannien als wichtigste Großmacht der Region abgelöst wurde; in den 70ern, als die Politik der USA unter Richard Nixon darin bestand, aus Vietnam zu lernen und größere Dritte-Welt-Engagements zu vermeiden, wurde das Iran des Schah als weltweit bestes Beispiel der „Nixon- Doktrin“ gesehen — die Delegierung der US-Rolle an große Mächte der Dritten Welt, was der Iran durch erfolgreiche Militärinterventionen in Pakistan, Irak und der Dhofar-Provinz Omans erfüllte.

Dann kam die Revolution. Seitdem werden die Politiker der USA vom Iran heimgesucht.

Khomeini, Überwinder des Vietnam-Syndroms

Von allen Staaten der Welt, mit denen Washington schwierige Beziehungen unterhält, fallen zwei besonders auf: nicht Rußland, gegen das die Amerikaner niemals einen großen Krieg geführt haben, auch nicht Vietnam, das sie unzweideutig besiegt hat und mit dem jetzt Kontake wachsen — sondern Kuba und der Iran. Kubas Revolution wurde nie vergeben; das Land bleibt eine Obsession des US-Establishments. Washington erwartet nun dringend den Zusammenbruch des Castro-Regimes. Iran stellt ein schwierigeres Problem dar, wie die letzten drei US- Präsidenten alle erfahren mußten.

Die Carter-Präsidentschaft und ihre liberalen, nichtinterventionistischen Hoffnungen wurden durch die iranische Revolution und die spätere Geiselnahme von US-Diplomaten in Teheran zerstört. Einst wurde Khomeini „Idolstürzer“ genannt (Bot- Shekan auf persisch), und er behauptete, drei Idole gestürzt zu haben: Carter, den Schah, und — weniger gerechtfertigt — Saddam Hussein. In mancher Hinsicht war Khomeini der eigentliche Überwinder des „Vietnam-Syndroms“, denn die Festnahme und Erniedrigung der US- Geiseln erzürnte die öffentliche Meinung der USA so sehr, daß sie 1980 zur Wahl Ronald Reagans und seines interventionistischen Programmes führte. Reagan selbst wich dem direkten Konflikt mit dem Iran aus, aber die beiden größten Skandale seiner Amtszeit hatten mit diesem Land zu tun: zuerst der Irangate-Skandal von 1986, als offengelegt wurde, daß die Administration insgeheim Waffen an Teheran verkauft hatte, trotz einer gegenläufigen offiziellen Politik. Als die USA 1987 darauf eingingen, kuwaitische Schiffe im Golf zu beflaggen, war der wichtigste Grund nicht, sie vor dem Iran zu schützen, sondern um nach „Irangate“ arabische Unterstützung wiederzugewinnen, insbesondere von Saudi-Arabien.

Und gegenwärtig kommt ein noch größerer Iran-Skandal ans Tageslicht — es wird behauptet, daß Reagans Berater im Vorlauf zu den Wahlen von 1980 den Iran dazu bewegten, die Freilassung der US-Geiseln zu verzögern, damit Carter den Ruhm nicht einstreichen könnte. Dies würde bedeuten, daß Reagan Khomeini benutzte, um den Wahlprozeß der USA zu manipulieren.

Teheran und der Golfkrieg

Die Bush-Präsidentschaft war viel mit dem Iran beschäftigt, und dies ist das Hauptproblem hinter ihrer Golfpolitik. Als nach dem eigentlichen Krieg Volksaufstände im Irak ausbrachen, intervenierten die USA und die arabischen Verbündeten nicht, denn sie fürchteten, daß die Aufstände dem Iran zugute kommen würden.

Auch jetzt bleibt das Problem für Washington zentral. Bush möchte Saddam entmachtet sehen, und wenn ihm dies gelänge, würden seine Wiederwahlchancen steigen. Aber die heutzutage gebrauchte Phrase der US-Offiziellen — „eine bessere Alternative“ — unterstreicht die Furcht, daß eine Alternative vielleicht doch nicht besser wäre. Darum das zweideutige Ende des „Wüstensturms“: Irak aus Kuwait vertrieben und geschwächt, doch Saddam noch an der Macht. Das Problem wird um so größer durch die Tatsache, daß mit einem geschwächten Irak das strategische Gewicht des Irans am Golf gewachsen ist.

Feindbild „islamische Bombe“

Dieses „Iran-Syndrom“ ist durch Entwicklungen in Zentralasien und Afghanistan noch verstärkt worden. US-Offizielle nähren die Alarmstimmung durch Berichte, daß der Iran große Mengen an sowjetischen T-72- Panzern zu Billigpreisen erworben hat und sich für Atomtechniker interessiert. Washington ist besorgt über die Verbreitung nuklearen Materials in Zentralasien und über eine mögliche Koalition von Staaten wie Kasachstan, Iran und Pakistan zur Produktion von Atomwaffen. Man spricht von einer „islamischen Bombe“ und vom Siegeszug des Fundamentalismus in den ehemaligen Sowjetrepubliken. Das ist der Grund, warum die Bush-Administration die Türkei zur Aufnahme einer Rolle als Modell eines säkularistischen, modernisierenden islamischen Staates als Gegengewicht zum Iran auffordert.

Offensichtlich ist hier ein großes Ausmaß an Übertreibung im Gange. Während sechs der neuen Republiken eine islamische Identität haben, gibt es nur in einer — Tadschikistan — eine starke islamistisch-fundamentalistische Bewegung, und in der gesamten Region ist das Niveau der islamischen Kultur sehr niedrig, wie vor 1917. Selbst in den Gebieten traditionellen persischen Einflusses, wie die usbekischen Städte Bukhara und Samarkand, ist das Iran, das die Menschen suchen, genauso das der klassischen persischen Literatur und Kunst oder der modernen säkularistischen Kultur der Schah-Zeit, die jetzt in den USA floriert, als das der düsteren Botschaft der Mullahs.

Irreale Ängste, reale Schwierigkeiten

Das Gerede von einer „islamischen Bombe“ oder von einem anhaltenden Konflikt zwischen dem „Islam“ und dem „Westen“ ist unbegründet und dient nur dazu, im Nahen Osten und anderswo Ängste zu schüren. Wenn islamische Staaten tatsächlich Atomwaffen erwerben, dann nicht aus religiösen Gründen oder zum Zwecke der Kriegserklärung gegen den Westen, sondern wegen Konflikten in der eigenen Region.

Real sind dagegen die Schwierigkeiten der USA im Umgang mit dem Iran. In keiner der beiden Hauptstädte gibt es die Fähigkeit oder den Willen, die Beziehungen zu normalisieren. US-Offizielle beharren darauf, daß es seit dem Golfkrieg überhaupt keine Bewegung in den Beziehungen zum Iran gegeben hat, und der Iran bemüht sich, den russisch- amerikanischen Nahost-Friedensprozeß und die daran beteiligten Araber zu verurteilen.

So wirft die Hand des Ajatollah Khomeini, Architekt einer ganz anderen Ordnung, noch immer einen Schatten über das Weiße Haus. Es wäre wirklich ironisch, sollte die Herausforderung des toten Ajatollah die Fidel Castros überleben. Fred Halliday

Der Autor lehrt Internationale Politik an der London School of Economics.