Rücksiedler mit Ossi-Wessi-Ossi-Perspektive

Thüringer Familie kehrte nach dramatischer Flucht über die Donau wieder in ihre Heimat zurück/ Heimweh und der Wunsch, „ein Zeichen der Hoffnung“ zu setzen/ Plündernde Nachbarn begegneten Rückkehrern mit Neid und Mißtrauen  ■ Aus Meiningen Heide Platen

Die Familie Weschenfelder kommt in keiner Statistik vor und ist dennoch überzeugt: „Von uns gibt es viele!“ Sie sind, sozusagen, „rückgesiedelte“ Übersiedler — vom Osten in den Westen und wieder in den Osten Deutschlands. Das Fotoalbum auf dem Tisch im ersten Stock des kleinen Altstadthauses im thüringischen Meiningen gibt Auskunft über die deutsch-deutsche Odyssee. Gabriele und Bernd Weschenfelder schlagen Blatt für Blatt um — eine private Chronik der Flucht aus der DDR im September 1989 durch die Tschechoslowakei nach Ungarn, mit der damals achtjährigen Tochter durch Maisfelder und Wälder, dann mit dem Boot über die Donau. Die Erinnerung rührt sie noch immer an. Bernd Weschenfelder: „Das sind Stunden, die man nie mehr im Leben vergißt.“ Als sie in Budapest im Auffanglager ankamen, war es fast leer, die Grenze gerade eine Nacht zuvor geöffnet worden. Sie fanden Aufnahme im bayerischen Geroda bei Bad Kissingen.

Weschenfelders kehrten nach zwei Jahren, im August 1991, wieder an den Ausgangspunkt ihrer Reise, nach Meiningen, zurück. An das, was sie dort vorgefunden haben, mögen sie bis heute nicht denken. Und müssen es doch: „Schon wegen der Nachbarn. Es war zum Heulen!“ Das Haus war „wie von Vandalen“ ausgeräumt und voller Unrat, aber als kleiner Altbau mit engen Stiegen doch wohl „Gott sei Dank“ als Wohnung nicht begehrt genug und deshalb „immerhin“ leer. Der Grundbucheintrag war bereits kurz nach ihrer Abreise geändert worden. Den Weg, auf dem ihre Möbel verschwanden, darunter wertvolle Antiquitäten, vollzogen sie mit steigendem Unbehagen nach. Alles, was nicht so wertvoll war, verkaufte der Rat des Kreises in der staatseigenen Verkaufsstelle. Daß sie für den Abtransport „für die 100 Meter bis zum Marktplatz“ auch noch eine Rechnung erhielten, schmerzt sie weniger. Das Problem sind die Nachbarn, bei denen jetzt zum Beispiel ein altes Nähtischchen und der Farbfernseher stehen. Ob die denn nichts zurückgegeben hätten? Bernd Weschenfelder sagt, er habe versucht, mit ihnen darüber zu reden, aber: „Die meinen, daß sie im Recht sind. Wir hätten ja nicht abzuhauen brauchen.“

Die Rückkehr ist von einigen mit Häme quittiert worden, wegen „des dicken neuen West-Autos und weil wir das Häuschen außen wieder hergerichtet haben. Der Neid wächst.“ Begrüßt worden seien sie mit „Na, ihr Wessis!“ Die Nachbarn wiederum schieben die Schuld auf „die Funktionäre“. Die seien es gewesen, die in das Haus „mit leeren Taschen reingegangen und mit vollen wieder rausgekommen“ seien. Nach dem Gesetz über Flüchtlinge nach dem August 1989 haben Weschenfelders ihr Haus in der Wintergasse neu in Besitz genommen und dabei die Perspektive gewechselt. Trotzdem sind sie, sagt Gabriele Weschenfelder, „froh, endlich wieder zu Hause zu sein“: Sie hat sich mit einer kleinen Agentur selbständig gemacht.

Die Neu-Düsseldorferin Barbara Thomas, mit zwei erwachsenen Söhnen ebenfalls im August 1989 über die ungarische Grenze geflüchtet, ist noch heute verbittert. Sie zog es schon im Sommer 1990 in ihre Heimatstadt Rostock zurück. Ihre geräumige Gartenwohnung war inzwischen samt Mobiliar von der Nachbarin „übernommen“ worden. Bücherkisten, die diese eigentlich hatte nachsenden wollen, seien „auf dem Postweg wohl verschwunden“. Ein befreundeter antiquarischer Buchhändler erwies sich als zuverlässigere Poststelle. Er hatte einen Teil aufgekauft und überreichte ihn der Rückkehrerin als Begrüßungsgeschenk. Andere alte Freunde seien, sagt Barbara T., „wie Geier, die nur darauf gewartet hatten, daß wir verschwinden“, über die Wohnung hergefallen. Die Beziehungen sind unwiederbringlich zerbrochen.

Auch Familie Gerster ist in den letzten Wochen „rückgesiedelt“, auf dem kurzen Weg von West- nach Ost-Berlin — eine persönliche Weltreise. Sie fanden von ihrer zurückgelassenen Habe nichts mehr vor außer dem, was sie unauffällig bei Verwandten untergestellt hatten. Ihre Rückkehr setzten vor allem die Söhne, sieben und neun Jahre alt, durch. Marina Gerster: „Mit nichts kamen sie zurecht, weder mit der Enge der neuen Wohnung noch mit dem Straßenverkehr, schon gar nicht mit der Schule.“ Zumal der stark sächsische Dialekt der Mutter sie deutlich hörbar mehr geprägt hat als der Berliner Zungenschlag des Vaters. Dauernd seien sie gehänselt worden, klagt der ältere Marko. Sein kleiner Bruder sagte gar nichts mehr, machte dafür aber regelmäßig ins Bett. Martina Gerster: „Wir haben die Koffer gepackt und sind wieder in die alte Umgebung zu den Großeltern gezogen.“

Auch Gabriele Weschenfelder berichtet von den Schwierigkeiten ihrer Tochter, sich im Westen zurechtzufinden. Sie habe sich nach außen nichts anmerken lassen. Der Empfang in Bayern sei auch ganz besonders herzlich gewesen. Sie seien mit Blumen, Kleidern, Möbeln und Hausrat überreichlich beschenkt worden, hätten schnell Arbeit und Wohnung gefunden. Das Kind habe, erinnert sich Gabriele Weschenfelder, zwar gesagt, es gefalle ihm gut, sei aber immer stiller und verstörter geworden. Sie drängte dann, selber „von hundertprozentigem Heimweh“ geplagt und zuerst gegen den Willen ihres Mannes, immer wieder auf Heimkehr.

Bernd Weschenfelder ist enttäuscht. Mit seiner Rückkehr wollte er, nach anfänglichen Bedenken, auch ein positives Zeichen setzen. Jetzt falle ihm vieles, was er früher nicht gesehen habe, viel mehr auf — zum Beispiel der rüde Umgangston der Menschen untereinander: „Hier gibt es mehr Schlägereien.“ Aber, auch das hat er gelernt: „Der Wohlstand im Westen fällt auch nicht vom Himmel. Die Leute müssen auch buckeln und schwer arbeiten.“ „Das“, sagt er, „kapieren viele Leute hier noch nicht.“