Bremer Justiz verletzt das Grundrecht

■ Bundesverfassungsgericht bemängelt viel zu lange Untersuchungshaft eines jungen Kurden

Nicht mehr lange zu: die Knasttüren im BlocklandFoto: Steinberg

Für den jungen Kurden Mehmet S. (21), dem Bremens Justiz Drogenhandel vorwirft, wurde das Grundrecht auf Freiheit der Person außer Kraft gesetzt — und zwar so schamlos, daß das Bundesverfassungsgericht jetzt seiner Klage gegen die seit über einem Jahr andauernde Untersuchungshaft schon in der Vorprüfung als „offensichtlich begründet“ recht gab. Die Entscheidung

der Karlsruher Richter in diesem Einzelfall könnte demnächst auch für die meisten der 40 anderen Insassen der Jugendvollzugsanstalt im Blockland die Knasttür öffnen.

Nur in besonders begründeten Einzelfällen darf nämlich nach der ständigen Rechtssprechung des Verfassungsgerichts eine Untersuchungshaft länger als sechs Monate dauern. In Bremen ist dies — besonders für Kurden, die wegen des Verdachts auf Drogenhandel festgenommen wurden — jedoch schon die Regel. Ganz lapidar begründet die Staatsanwaltschaft in solchen Fällen immer wieder die überlangen U-Haft- Zeiten mit Personalmangel bei der Kripo.

So mußte der zuständige Sachbearbeiter der Kriminalpolizei im Fall des Kurden Mehmet S. noch im November 1991 — neun Monate nach seiner Festnahme — in einer Aktennotiz feststellen, daß „mir ein entsprechender Kenntnisstand fehlt, um in etwa sagen zu können, wann ich die Ermittlungen abgeschlossen haben werde“. Mit dieser offensichtlichen und sogar aktenkundigen Schlamperei habe sich das Oberlandesgericht in seiner letzten Entscheidung über die Verlängerung der Untersuchungshaft am 26. November „mit keinem Wort auseinandergesetzt“, bemängelt jetzt das Verfassungsgericht und ergänzt: „Den aufgetretenen Schwierigkeiten (der Ermittlungen) ist offensichtlich weder von seiten der Kriminalpolizei noch von seiten der Staatsanwaltschaft entgegengewirkt worden“.

Nach diesem Grundrechtsverstoß muß das Bremer Oberlandesgericht jetzt neu über die Untersuchungshaft von Mehmet S. entscheiden. Und das Verfassungsgerichts-Urteil müßte ähnlich auch auf die knappe Hälfte aller weiteren 30 des Drogenhandels verdächtigen kurdischen Häftlinge im Blockland zutreffen. Auch sie sitzen bereits über sechs Monate in Untersuchungshaft. „Den in Bremen viel zu langen Ermittlungsverfahren und übermäßig langen Untersuchungshaftdauern dürfte für die Zukunft ein verfassungsrechtlicher Riegel vorgeschoben sein“, hoffte gestern Stefan Barton, der in Karlsruhe erfolgreiche Bremer Anwalt von Mehmet S.

Doch da könnte er sich täuschen. Denn Polizeipräsident Rolf Lüken wies gestern alle Verantwortung für die verschleppten Kripo-Ermittlungen von sich (vgl. S.22). Und im Justizressort erklärte der zuständige Abteilungsleiter Hans Wrobel zwar, daß „die Staatsanwaltschaft das jetzt sehr genau aufarbeiten und diese Mängel abstellen muß“, schränkte jedoch gleichzeitig ein: „Mit der Personallage sieht es in Bremen übel aus. Staatsanwälte wachsen ja nicht am Baum.“ Da könne man „nur gucken, wo wir jemanden umsetzen können“.

Kein Personalmangel war dagegen der Grund dafür, daß das Justizressort es noch nicht einmal für nötig gehalten hatte, auf die Bitte der Karlsruher Richter nach einer Stellungnahme zum Fall Mehmet S. zu reagieren. „Das machen wir nie, weil Urteile von unabhängigen Richtern wie dem Bremer Oberlandesgericht für uns heilig sind“, erklärte Justiz- Abteilungsleiter Wrobel. Dirk Asendorpf