Leichtes am Abend

■ »Sweet Charity« im Theater des Westens

Vor der nächtlichen Skyline von New York wird die Animierdame Charity Valentine von ihrem Freund erst beraubt und dann verlassen. Doch sie überwindet diese Enttäuschung — wie so viele andere davor — mit ein paar Tränen und hofft weiterhin auf die große Liebe, die sie irgendwann aus der halbseidenen Welt ihres Berufes herausreißen wird. Im Fandango-Club, ihrer Arbeitsstätte, teilt sie dieses Schicksal mit etlichen anderen Frauen, nur, daß diese nicht ganz so naiv und verblümt ihr Leben betrachten. Vor dem Privatclub Pompeji lernt Charity den erfolgreichen und gutaussehenden Filmschauspieler Vittorio Vidal kennen, der gerade in einen Streit mit seiner Freundin Ursula verwickelt ist. Charity glaubt an eine gekommene Chance und verbringt den Abend gemeinsam mit dem Star: sie bewundert seinen Charme, er ihre Ehrlichkeit. Doch bevor es zu einer körperlichen Annäherung im Appartement von Vidal kommen kann, sorgt das Auftauchen von Ursula für eine Versöhnung der Streitenden. Das Pärchen landet im Bett und Charity bleibt im Schlafzimmerschrank, wo sie sich versteckt hatte, zurück.

Wieder im Club, beschließen Charity und ihre Kolleginnen, ihr Leben zu verändern. Doch nur Charity meint diesen Wunsch auch ernst: sie geht zur Volkshochschule und meldet sich für einen Kurs in Psychologie an. Im Fahrstuhl lernt sie den neurotischen Buchhalter Oskar kennen, der leider auch an Klaustrophobie leidet, wie Charity beim Steckenbleiben des Fahrstuhls feststellen muß. Es kommt, wie es kommen muß: beide verlieben sich ineinander. Als Oskar jedoch eines Tages von der bisher geheimgehaltenen »wahren« Tätigkeit Charitys erfährt, ist auch dieses Glück zu Ende. In den wechselnden Bühnenbildern von Walter Schwab werden in großer Ausstattung die verschiedenen Interieurs geschaffen: rückseitig beleuchtete Prospekte und angewinkelte Spiegel, die abgewrackte Garderobe des Fandango-Clubs, das auf »Neue Wohnkultur« im Yuppie-Outfit gedrillte Schlafzimmer Vidals, durchsichtige Schränke, beweglicher Fahrstuhl und so weiter und so fort. Die ebenfalls von Schwab entworfenen Kostüme kopieren — geschmackvoll in der Verwendung feinster Stoffe, Samt und Seide — die sechziger Jahre des Landes der unbegrenzten Möglichkeiten.

Unter der Regie von Helmut Baumann und Jürg Burth spielt Michelle Becker eine frech-verträumte Charity, wobei bei ihr das Verträumte eher aufgesetzt wirkt. Heinz Rennhack gibt souverän und charmant den Filmstar Vidal und Cusch Jung glaubhaft-verklemmt den neurotischen Buchhalter Oskar. Vom Gesang her läßt diese Aufführung eher zu wünschen übrig, tänzerisch ist das Ensemble jedoch überzeugend. Der Text ist von Neil Simon, er bedient die althergebrachten Klischees der »guten Frau in der bösen Welt«, bietet das, was man von einem Musical im Theater des Westens erwartet: leichte Berieselung ohne Gehirntätigkeit. Die Musik von Cy Coleman jedoch wirkt flott und schmissig, was nicht nur an so wohlbekannten Klassikern wie Hey, Big Spender liegt.

Insgesamt bleibt es im Theater des Westens einmal mehr bei simpel gestrickter Unterhaltung, die zudem darstellerisch, stimmlich und inszenatorisch eher beim Mittelmaß angesiedelt ist. Aber vielleicht darf man auch gar nichts anderes erwarten? Das Volk jedenfalls amüsiert sich prächtig, was bei den gesalzenen Kartenpreisen auch kein Wunder ist. Schließlich möchte man doch bei durchschnittlichen 40 Mark wenigstens nach jeder Nummer klatschen dürfen. Auch wenn es dazu keinen Anlaß gibt. Eben: wie es euch gefällt! York Reich

Weitere Aufführungen: Täglich, außer montags, jeweils um 20 Uhr im Theater des Westens, Kantstraße 12, Charlottenburg.