Wenn schon gleich, dann schon gleich reich

■ »Die letzten Westler erobern die Welt« ab heute im Ratibor-Theater Kreuzberg

Politisches Kabarett — das ist wohl das Schwerste überhaupt. Der konformen Lust, sich hin und wieder über den galvanisierten Zeitgeist zu empören, frönen viele. Den Sport, auf der »Sarkasmus- Welle« mitzusurfen, oder den persönlichen Drang, schlicht an den republikanischen Realitäten vorbeizukalauern, vermag so mancher in dieser Stadt klingend umzumünzen. Aber der Wille, die großen tagespolitischen Geschäfte kabarettistisch zu kommentieren, verlangt viel Wissen und Recherche, steht unter dem ewigen Zeitdruck der Aktualität und scheint deshalb als »Meisterstück« so großen Namen wie Dieter Hildebrandt, Werner Schneider oder Jochen Busse vorbehalten zu sein.

Um so erstaunlicher ist es, daß einer jungen ambitionierten Theatertruppe der große Wurf in dieser Sparte mit derartiger Leichtigkeit gelingt, daß man sich wundern muß, von ihnen nicht schon viel, viel mehr gehört zu haben. »Die letzten Westler« — sie präsentieren nun schon ihre dritte Produktion in dreizehn Monaten— kommentieren die nationale und internationale Großwetterlage, kriteln von Ost nach West, von oben nach unten und alles das immer mit diesem beißenden Spott, der das kurzweilige Lachen schockgefrieren läßt. Die Reise durch das Elend der vier Welten beginnt bei Mütterchen Rußland. Ausgerechnet mit einem US-importierten McCarthy-Fragebogen will ein innenministerialer Wendehals die »Russifizierung der Sowjetunion« vorantreiben. »Waren Sie jemals in der Komunistischen Partei?« lautet die ausrangierte Frage, die westdemokratische Traditionen von Berufsverbot und Sozialistengesetzen nun auch in den kalten Osten importieren will. Derweil stehen Moskaus Hausfrauen gutmütig in den Warteschlagen und sparen für den »Trip nach West«.

Die Songtexte von Olaf Michael Ostertag — mit viel Drive vertont von Axel Klöber — haben nicht nur den Biß wahrhaftiger Inhalte, sondern auch den Witz einer ausgefallenen Perspektive. Hier erscheint es einmal nicht seltsam, daß »sie nun plötzlich zu singen anfangen«. Im Gegenteil, in Dur und Moll erwacht das Checker-Schicksal der Moskowiterinnen auf der kleinen Bühne erst so richtig zum Leben. Aber auch die erzählten Geschichten vom gepumpten Reichtum des amerikanischen Business, von den Wirtschaftsmogulen, die noch beim morgendlichen Tennismatch Millionengeschäfte tätigen, haben Klasse. Wenn sich Verena Gospodar und Stefan Krischke die imaginären Filzbälle um die Ohren hauen, duckt sich bei diesem Mummenschanz das Publikum reflexartig. Wahrheiten, wie die Tatsache, daß die Amerikaner mit satten vier Billionen Dollar in der weltweiten Kreide stehen, den GUS-Staaten aber schlappe achtzig Millionen zur Sanierung ihrer Wirtschaft verwehrt werden — solche Informationen werden bei den Letzten Westlern so kunstvoll eingebettet, daß sie pointiert wirken ohne besserwisserisch zu sein.

Daß ein armer Kubaner angesichts der sich verändernden Weltlage »lieber gleich reich, statt immer nur gleich« sein möchte — wer könnte es ihm verübeln? Was aber passiert, wenn die herbeigerufene »Zauberfee Marktwirtschaft« das kleine Land wirklich in die Finger kriegt und es mit so viel Schwung verzaubert, daß dem armen Kubaner schon bald die Kündigung ins nicht mehr zu bezahlende Haus flattert? Wenn dann der »Zweifel« von hinten heranschleicht, und mit der »Marktwirtschaft« um die arme kubanische Seele ringt, an ihr nagt und zerrt und zurtelt, dann wird dem armen Kerl ob der Geister, die er rief, ganz schwindelig — und das feenerprobte Westpublikum tobt.

Aber — wer hätte das gedacht!— auch im Inland kennen sich die Letzten Westler verdammt gut aus. Wie macht man den neuen Westlern im Osten nur begreiflich, daß »der Anschluß an ein Land, in dem Milch und Honig fließt, nicht gleich bedeutet, auch an die Milch- und Honigleitungen angeschlossen zu sein?« Die Vereinigung wirft immer noch Fragen über Fragen auf. Und kaum eine läßt sich so leicht lösen, wie die nach der Staatsgewalt: Wenn alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, und wenn die Hoyerswerdaer das Volk sind, dann geht eben alle Staatsgewalt von Hoyerswerda aus! So einfach und streng formal-logisch läßt sich herleiten, warum eines schönen Wintertages der Staatssekretär des Innenministeriums, Herr Knieselbeck, mit einem jungen Ostbürger, namenlos, vor den Toren von Hoyerswerda High Noon zelebriert. Vom Ausgang dieses Gefechts wird hier natürlich nichts verraten, außer dem Hinweis, daß das Volk nie besser als das letzte Wahlergebnis ist, und der Empfehlung, sich die Letzten Westler unbedingt anzuschauen. Denn die allabendliche »Explosion des Publikums« ist garantiert und sogar feuerpolizeilich abgesichert. Klaudia Brunst

Die letzten Westler — Politisches Kabarett nun wieder fast täglich um 20 Uhr im Ratibor-Theater, Cuvrystraße 20.