Zu kleingekocht

■ „Gerichtstag“, Mi., 21.05 Uhr, ARD

Gerichtsverhandlungen sind langweilig. Auch die Verhandlung gegen den Angeklagten aus der Hausbesetzerszene in dem Fernsehspiel Gerichtstag von Horst Bieber. Zum Glück gibt es aber den Reporter (Dieter Kirchlechner) vom 'Nachtkurier‘, den alle fürchten. Er betritt Stunden zuvor das Gerichtsgebäude, spricht mit Zeugen und ermittelt auf eigene Faust.

Und was kommt dabei heraus? Der Angeklagte, der gemeinsam mit anderen Hausbesetzern das Haus des Parlamentspräsidenten überfallen, Scheiben eingeschlagen, Parolen gesprüht und Buttersäure geworfen haben soll, ist Spielball verwickelter Interessen geworden. Aus dem juristischen Verfahren soll das „Tanneneck“ — Ähnlichkeiten mit der Hamburger Hafenstraße sind gewollt — herausgehalten werden. Der Staatsanwalt wird auf Weisung des Justizministers den Fall „kleinkochen“. Es scheint, daß in dem Prozeß mit politischem Hintergrund nicht die Wahrheit gefunden werden soll. Ergebnis: Der potentielle Straftäter wird nicht nur lasch, sondern gar nicht bestraft. Selbst der Verteidiger scheint die Requisiten hinter den Kulissen mitgeschoben zu haben.

Hintergrund der Verwicklungen ist, daß die Regierung das „Tanneneck“ nicht räumen lassen will, weil sie schwere Straßenschlachten befürchtet. Die Gewalt würde die politischen Geschäfte stören. Folglich soll nicht mit einem spektakulären Strafverfahren erneut Aufmerksamkeit auf illegale Aktionen der Bewohner gelenkt werden. „Wir drängen auf eine politische Lösung“, wie der persönliche Referent des Innenministers hinter vorgehaltener Hand jedem sagt, der es wissen will.

Regisseur Eberhard Itzenplitz glaubt, mit seinem Fernsehspiel „ein Stück Gesellschaft auf den Prüfstand“ zu stellen. Um die Hausbesetzerszene geht es in dem Film allerdings nicht. Itzenplitz bezieht in seinem 90minütigen Streifen keine Stellung, inwieweit ein Überfall auf das Haus eines Parlamentariers — wenn schon verboten — wenigstens legitim oder verständlich ist. Offen bleibt, ob die gewalttätige Auseinandersetzung zwischen Staat und aufmüpfigem Nachwuchs überhaupt Gegenstand juristischer Verfahren sein sollte. Schließlich darf in Prozessen nur Justitiables und kann nicht Politisches geklärt werden.

Wie gesagt, diesmal wird der Beschuldigte freigesprochen. „Im Zweifel für den Angeklagten“, sagt der Mann vom 'Nachtkurier‘ zum Richter, „aber wie groß müssen die Zweifel sein?“ Es kann kaum in Sinne des Regisseurs sein, den Eindruck zu erzeugen, das Gericht mache sich zum Hampelmann, weil es einmal nicht „zuschlägt“. Genau dieser Eindruck entsteht aber. Müßten in der Beweisaufnahme nicht Hausbesetzer und Regierung in den Zeugenstand gerufen werden? Gerichtstage sind langweilig. Man sollte sie nicht auch noch langweilig inszenieren. Dirk Wildt