KOMMENTARE
: Waigel bleibt am längeren Hebel

■ Im Steuerstreit reicht die „richtige Position“ der SPD nicht gleich zum politischen Erfolg

Heute üben sich Regierung und Opposition in ungewohnter Disziplin. Wenn der Bundesrat über das Steuerpaket entscheidet, dann nicht nach den so oft bewährten Maßgaben von Interessenausgleich und Kompromiß. Die Kontrahenten rüsten sich diesmal zum Alles oder Nichts, und es gibt nur noch Sieg oder Niederlage — ungewöhnlich genug. In diesem Streitfall steht zudem fest, daß nur einer gewinnen kann. Die SPD und die von ihr geführten Länder sind heute abend die blamabel Besiegten, wenn Finanzminister Theo Waigel mit den Stimmen von Berlin und Brandenburg eine Mehrheit im Bundesrat findet. Aber auch wenn das Steuerpaket an der geschlossenen Front der SPD-Länder scheitert, bleibt der Finanzminister am längeren Hebel. Denn Bundesregierung und Bundestagsmehrheit haben es dann in der Hand, wie über Mehrwertsteuer, Familienentlastung und den Fonds der deutschen Einheit weiter verhandelt wird.

Björn Engholm und Oskar Lafontaine haben sich verhalten, als würde schon die „richtige Position“ zum politischen Erfolg reichen. Aber so sehr es stimmen mag, daß ein Prozent mehr Mehrwertsteuer sozial ungerecht und konjunkturpolitisch riskant ist, daß hundert Mark Kindergeld für die Ostbürger hilfreicher und die strukturschwachen Westländer übermäßig strapaziert sind — am Ende bleibt hängen, daß die SPD für die deutsche Einheit nicht teilen mag. Die Opposition hat sich in die Ecke manövriert, in der die Bundesregierung sie von vornherein am liebsten sehen wollte.

Fatal an der Sache ist vor allem, daß sich der Hang zur kalten Macht, der die Regierung Kohl ohnehin auszeichnet, ungehindert entfalten kann. Denn natürlich müßten die Interessen der Ostdeutschen und der strukturschwachen westdeutschen Länder vernünftig verhandelt und ausbalanciert werden, natürlich wäre die Höhe des Kindergelds manchen Streit wert. Statt dessen fordert Theo Waigel das Land Brandenburg geradezu zum Kniefall auf und wartet ab.

Der Finanzminister schert sich nicht darum, daß der gescheiterte Kompromiß zwischen Bund und Ländern dazu führen kann, daß die Segnungen des Steuerpakets für die Bürger und die Länder zunächst storniert sind. Wird Brandenburg nicht zum Ja bewegt, dann spart Waigel erst einmal Ausgaben und heckt Zinsen. Wenn der Steuerstreit überhaupt noch in eine neue Verhandlungsrunde kommt, dann sollte die SPD genauer kalkulieren: Will sie über ihre Macht in den Ländern bundespolitisch mitregieren, muß sie erstens wissen, daß die Macht der Länder Grenzen hat, und zweitens eine länderübergreifende Sicht entwickeln. Die kann heutzutage nur gesamtdeutsch sein. Tissy Bruns