Iran — ein neuer Feind „made in Germany“

Die Bundesregierung unterstützt deutsche Unternehmen bei der Aufrüstung des Iran / Besonders eng: die Kumpanei zwischen Anlagenbaufirmen und Möllemanns Wirtschaftsministerium  ■ Von Thomas Dreger

„Gefährdungen der Sicherheit und Stabilität Europas (...) in Nordafrika oder im Nahen und Mittleren Osten“, stellt das Bundesverteidigunsministerium in einem Anfang des Monats bekanntgewordenen Grundlagenpapier fest. Es folgt die Forderung der Schreibtischstrategen nach „Verfassungsergänzung im Hinblick auf deutsche militärische Beiträge zur kollektiven Sicherheitsvorsorge außerhalb der Nato“.

Und US-Vizepräsident Dan Quayle rief am letzten Wochenende auf einer Konferenz für Sicherheitspolitik in München Reagans SDI-Projekte wieder ins Leben: Das umstrittene „Krieg-der-Sterne-Programm“ soll die USA, Europa und Rußland gemeinsam vor atomaren, biologischen und chemischen Waffen schützen. Die größten Gefahren drohten laut Quayle aus dem Irak, Libyen und dem Iran. Nachdem der alte Feind im Osten, nicht aber dessen Waffen verschwunden sind, ist alles Gerede von einer friedlichen Welt vom Tisch.

Geortet wird der neue Feind im Süden und dort insbesondere im islamischen Raum. Die Darstellung des Feindbildes Orient ist dabei eurozentristischer und rassistischer, als Karl May sich je zu schreiben getraut hätte. Fanatische Muslime versuchen demnach in den islamischen Republiken der ehemaligen UdSSR Atomwaffen zu erwerben, die dort wie Teppiche oder Drogen gehandelt werden. Skrupellose Öl-Diktatoren locken hungernde ex-sowjetische Waffenspezialisten, die für sie A-, B- und C-Waffen zusammenzimmern.

Ein wichtiges Element des gezeichneten neuen Feindbildes bildet der Iran. Von Versuchen iranischer Emissäre, in den islamischen GUS- Staaten Atomwaffen und Nukleartechnologie zu kaufen oder Waffenspezialisten anzuwerben, wird berichtet. Theoretisch könnten sich Iraner ganze Atomraketen einfach auf dem Landweg abholen.

Doch als 1988 der damalige iranische Parlamentspräsident und heutige Staatspräsident Rafsandschani vor Revolutionsgardisten erklärte: „Wir sollten uns voll ausrüsten mit chemischen, bakteriologischen und radiologischen Waffen“, wurde das entweder kaum zur Kenntnis genommen oder als Einladung für lukrative Geschäfte aufgefaßt. Der neue Feind ist zu einem Gutteil hausgemacht.

BND warnt Bonn seit zehn Jahren

Im November 1991 warnte der Bundesnachrichtendienst (BND) die Bundesregierung, der Iran versuche neben Syrien und Libyen, sich mit „Kriegstechnik made in Germany atomar, chemisch und biologisch hochzurüsten“ — eine Mitteilung, die sich kaum von anderen unterschied, die der BND in den letzten zehn Jahren immer wieder an ein unbeeindrucktes Bonn richtete. Noch weniger beeindrucken ließ sich die Bundesregierung von Berichten über notorische Menschenrechtsverletzungen im Iran oder Proteste gegen den Aufruf zum Mord an Salman Rushdie.

Die deutsch-iranischen (Waffen-) Handelsbeziehungen reichen weit in die Schahzeit zurück. Die bis 1990 bundeseigene Fritz Werner Industrieausrüstungen GmbH (FWAR) war Hoflieferant für die Munitionsfabriken der Pahlevis. Seit den 60er Jahren darf der Iran als einziger Staat im Nahen Osten das Bundeswehr- Sturmgewehr „G3“ von Heckler & Koch in Lizenz bauen.

Die deutsch-iranischen Geschäftsbeziehungen wurden durch die iranische Revolution 1979 nur kurzzeitig beeinträchtigt. Dafür, daß die Geschäfte weitergingen, sorgte nicht zuletzt Hans-Dietrich Genscher, der schon 1984 als erster hochrangiger Politiker aus dem Westen die islamische Republik besuchte.

Schneller noch als Genscher waren deutsche Waffenhändler. Die Troisdorfer Sprengstoffabrik Dynamit Nobel AG machte schon Anfang der achtziger Jahre Millionengeschäfte mit Teheran. Auch die FWAR ließ sich nicht abschrecken. Mehr als 100 Ingenieure und Techniker schickte sie nach Beginn des iranisch-irakischen Krieges nach Teheran, um dort die Munitionsfabriken des Schahs wieder flottzumachen.

Siemens will AKWs fertigbauen

Mit einem vorläufigen Nein reagierte Bundeswirtschaftsminister Jürgen Möllemann im Juni 1991 in Teheran auf die Bitte nach deutscher Hilfe bei der Fertigstellung von zwei iranischen Atomreaktoren. Mit dem Bau der Meiler in Buschir hatte die bundesdeutsche Siemens-Tochter Kraftwerksunion (KWU) 1975 im Auftrag des Schahs begonnen. Nach der Revolution wurden die Bauarbeiten eingestellt. 1982 unterschrieben die KWU und der Iran einen geheimen Vergleich, in dem sich die KWU verpflichtete, die Anlage fertigzustellen, falls sie die nötigen Exportgenehmigungen erhielte. 1983 wurden nicht genehmigungspflichtige Teile ausgeliefert. 1987 bot die argentinische Firma Enace, an der die KWU mit 25 Prozent beteiligt ist, den Iranern an, sich an der Fertigstellung zu beteiligen. Im Herbst desselben Jahres versuchte die KWU, von der Mailänder Zulieferfirma Ansaldo hergestellte Dampferzeuger nach Buschir zu transportieren. Der Plan scheiterte an italienischen Arbeitern, die mit Sitzstreiks die Lieferung so lange verhinderten, bis die Regierung in Rom die Auslieferung verbot.

Mitte November 1987 griffen irakische Kampfflugzeuge die AKW- Baustelle an. Unter den Opfern befand sich, obwohl die deutschen Arbeiten seit der iranischen Revolution offiziell eingestellt waren, ein deutscher Ingenieur. Anfang 1991 startete Siemens eine ministerielle Voranfrage, ob nun eine Genehmigung des Fertigbaus möglich sei. Die Bundesregierung entschied vorerst dagegen.

Auch in Nordkorea, China, Indien und Pakistan bemühte sich der Iran in den letzten Monaten um Nukleartechnologie. Pakistan ist dank maßgeblichen Engagements der deutsch-amerikanischen Leybold- Heraeus inzwischen Nuklearmacht. Teheran und Islamabad unterzeichneten Anfang Dezember ein gemeinsames Atomprogramm, das ausdrücklich auch militärische Nutzungen vorsieht.

Die Pestizid-Fabrik der Firma Lurgi

Mit den Worten „Im Namen Allahs, des Erbarmers, des Barmherzigen“ beginnt ein am 9.Februar 1984 unterschriebener Vertrag zwischen dem Frankfurter Anlagenbauer Lurgi und der Teheraner Nargan Consulting Engineers. Lurgi war als Generalunternehmer für einen Pestizidkomplex im iranischen Ghaswin vorgesehen. Nargan wurde Joint- venture-Partner; seine Mitarbeiter genossen eine Ausbildung bei Lurgi in Frankfurt. Einige Beobachter hegen den Verdacht, daß es sich bei Nargan um eine bis heute tätige inoffizielle Lurgi-Dependance handelt, die für Lurgi den Umgang mit iranischen Handelsgesetzen vereinfacht und deutschen Kontrolleuren das Vorgehen erschwert. Ende 1989 durchsuchten Zollfahnder Büros von Lurgi wie auch von Bayer. Der Leverkusener Chemiekonzern hatte von November 1987 bis Januar 1988 eine sogenannte Formulierungsanlage für Pestizide nach Ghaswin geliefert, die für die Herstellung von C- Waffen geeignet ist.

Beteiligt war in Ghaswin auch der Schweizer Konzern Ciba-Geigy, das DDR-Chemiekombinat Bitterfeld sowie die Pesticides India. Die Erfüllung der fünf Verträge hätte die Errichtung eines gigantischen Pestizidkomplexes bedeutet, der durch geringfügige Veränderungen in eine Giftgasfabrik umfunktioniert werden könnte. „Die technischen Voraussetzungen für die Herstellung chemischer Kampfstoffe sind einfach zu erfüllen“, heißt es dazu in einem Lurgi-internen Papier.

Kumpanei von Unter- nehmen und Behörden

Die Verhandlungen zwischen Lurgi und Bundesbehörden über Ghaswin geben einen kleinen Einblick in die Kumpanei zwischen Unternehmen und staatliche Kontrollinstanzen. In einem Aktenvermerk über ein Gespräch zwischen Vertretern von Lurgi, Bayer, des Bundeswirtschaftsministeriums, des Auswärtigen Amtes und des Bundesamtes für Gewerbliche Wirtschaft am 13.August 1987 notierte Lurgi-Geschäftsführer Hans Günter Schlegelmilch: „Herr Dr. Schomerus [Ministerialdirektor im Wirtschaftsministerium, d. Red.] führte aus, daß das gesamte Problem für das BMWI zunächst einmal nicht von „hervorragender Relevanz“ sei. Es sei aber zu befürchten, daß die Situation von vielen Stellen sehr unliebsam politisch negativ ausgenutzt werde. Das BMWI möchte in jedem Fall verhindern, daß zwei weltbekannte und hochgeschätzte deutsche Firmen in eine solche politische Diskussion geraten. Vertraulich und gegen die Vorschriften könne er uns noch einen recht umfangreichen Bericht zeigen, der bereits vom BND vorliege. Er las dann einige Passagen daraus vor. Ganz offensichtlich sind dem BND praktisch alle Daten unseres Projektes bekannt.“

In einer anderen Notiz bezeichnet Schlegelmilch die Atmosphäre bei einem Gespräch am 22.April 1988 im Wirtschaftsministerium als „durchaus sachlich“. Weiter heißt es: „Man konnte das Bemühen der Herren feststellen, Argumente zu finden, die eine weitere Bearbeitung dieses Projektes rechtfertigen.“

Nachdem der jordanische König Hussein 1988 der Bundesregierung seine Besorgnis über die Beteiligung deutscher Firmen am Aufbau iranischer Giftgasanlagen mitgeteilt hatte, notierte der vorsitzende Lurgi- Geschäftsführer Jens-Peter Schaefer am 25. Mai 1988: „Bayer und Lurgi werden auf Management-Ebene an der Formulierung des Antwortschreibens von Herrn Bundeskanzler Kohl an König Hussein mitwirken.“

Wegen wachsenden internationalen Drucks mußte sich Lurgi 1989 aus dem Ghaswin-Geschäft zurückziehen. Ermuntert durch den Bundeswirtschaftsminister, könnte sich der Frankfurter Anlagenbauer inzwischen aber ermutigt fühlen, sein Angebot zu erneuern. Möllemann äußerte vergangenen Juni in Teheran Verständnis für den iranischen Wunsch nach einer „Chemiefabrik für Düngemittel und Pflanzenschutzmittel“ in Ghaswin.

Wird Giftgasfabrik von Rabta nachgebaut?

Eine weitere Dimension erhielt der internationale Waffenhandel mit dem Iran im Frühjahr 1990, als Iraner bei dem Thailänder U-Thai Thiemboonkit die Pläne für die Giftgasfabrik „Pharma 150“ im libyschen Rabta kauften. U-Thai Thiemboonkit kooperierte mit Imhausen- Chemie und der Salzgitter Industriebau GmbH (SIG) bei „Pharma 150“. Inzwischen begannen die Iraner weltweit mit dem Einkauf der Materialien für den iranischen „Pharma- 150“-Nachbau. Mit dem Einstieg deutscher Unternehmen darf jederzeit gerechnet werden.

Durch den Handel mit Plänen und Know-how für Massenvernichtungsmittel in der Dritten Welt und die Verfügbarkeit von ABC-Waffen in der ehemaligen UdSSR verlieren die Industriestaaten zusehends die Kontrolle über Staaten, deren Aufrüstung sie selbst betreiben. Nicht nur der Iran droht eine „autonome“ und nicht mehr zu kontrollierende Militärmacht zu werden. Die Planungen von Bundeswehr und Nato lassen früher oder später eine militärische „Notbremse“ befürchten. Wie schon im Irak vorexerziert, würde ein solcher Krieg vor allem auf dem Rücken der iranischen Zivilbevölkerung ausgetragen werden — eben jener Menschen, die heute von einem mit deutschen Gewehren, Schlagstöcken und Telefonabhöranlagen ausgerüsteten Regime unterdrückt werden.