UNHCR in Kenia: Streiten statt helfen

Die Massenflucht von 140.000 Somalis nach Kenia traf das UN-Flüchtlingshochkommissariat unvorbereitet — obwohl der somalische Bürgerkrieg abzusehen war/ Kein Überblick über die eigenen Lager/ „Die brauchen einfach zu lange“  ■ Aus Nairobi Bettina Gaus

Niemand ist zufrieden mit der Nahrungsmittelhilfe für somalische Flüchtlinge im kenianischen Lager Liboi: die Mitarbeiter der Hilfsorganisation „Care“ nicht, die die Lebensmittel verteilen, die Ernährungswissenschaftlerin des UN- Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR) nicht und die Flüchtlinge selber schon gar nicht. Kein Obst, kein Fleisch, keine Milch und nur wenig Gemüse bekommen die Notleidenden — dafür aber Bohnen, an die sie nicht gewöhnt sind und die sie nicht zuzubereiten verstehen. Mehrfach haben die Helfer vor Ort bei den zuständigen UN-Stellen um eine Änderung des Speisezettels gebeten, bislang ohne Erfolg. Zusammengestellt wird der Warenkorb vom Welternährungsprogramm (WFP). In dessen Hauptquartier in Nairobi war niemand für eine Stellungnahme erreichbar: „Schreiben Sie, was Sie wollen. Alle sind beschäftigt“, beschied mich die entnervte Telefonistin beim letzten Versuch.

Die fruchtlose Recherche kennzeichnet die Lage. Kein Gesprächspartner ist bereit, auch nur einen Teil der Verantwortung für die Flüchtlingsmisere zu übernehmen. Insgesamt hat der seit über einem Jahr andauernde Bürgerkrieg in Somalia bis jetzt rund 140.000 Flüchtlinge ins Nachbarland Kenia getrieben, und jeden Tag werden in verschiedenen Camps an der Küste und im Landesinneren 700 bis 1.000 Neuankömmlinge registriert. Auf diesen Ansturm war hier niemand vorbereitet: „Wir sind durch die Ereignisse überrollt worden“, erklärt der UNHCR-Repräsentant Sylvester Awuye in Nairobi. „Noch vor eineinhalb Jahren gab es in Kenia höchstens 15.000 Flüchtlinge aus Somalia, und die haben meist in den Städten gelebt.“

Hitze und Wassermangel

Im Lager Liboi im Osten Kenias ist das größte Problem die Wasserversorgung. Unübersehbar lange Schlangen winden sich vor den wenigen Wasserhähnen. Bis zu 48 Stunden müssen die Flüchtlinge auf ihre Ration warten, und sie dürfen ihre Behälter nicht aus den Augen verlieren, wollen sie nicht ans Ende der Wartereihe gedrückt werden. Etwa vier Liter Wasser, nur knapp ein Viertel dessen, was die UN als Mindestbedarf veranschlagen, stehen jedem Lagerbewohner täglich zum Kochen, Trinken und Waschen zur Verfügung. Dabei ist es unerträglich heiß in Liboi, in den aus Ästen und Plastikplanen gebauten Hütten noch heißer als im Freien.

Im Januar wurde beschlossen, ein neues Bohrloch für Wasser zu graben. Einer UNHCR-Sprecherin zufolge wird die Lage seit Jahresbeginn von ihrer Organisation als „sehr, sehr ernst“ eingeschätzt. Wirklich erst seit Jahresbeginn? Immerhin stand bereits in einer UN-Veröffentlichung vom Oktober letzten Jahres über Liboi zu lesen: „Ein neuer großer Zustrom von Flüchtlingen im September belastet die schon jetzt überbeanspruchten Wasserquellen zusätzlich.“ Und nicht einmal heute steht fest, wie lange die Flüchtlinge noch auf das neue Bohrloch warten müssen.

Öffentlich schieben sich das UNHCR und die von ihm beauftragte, auch in anderen Lagern tätige Consultingfirma ITA gegenseitig den Schwarzen Peter zu: „Wir haben am 20.Januar ITA 1,5 Millionen Schilling (ca. 82.000 DM. d.Verf.) gegeben, um alte Wassertanks zu erneuern und ein Bohrloch zu graben. Seither haben wir von denen kein Wort gehört“, teilt die UNHCR- Sprecherin in Nairobi mit. „Mit anderen Worten: Wir sind nicht zufrieden.“ Zufrieden ist Reinhold Moser von der ITA auch nicht. Er stellt die Lage ganz anders dar: „Am 28.Januar hat das dafür zuständige kenianische Wasserministerium in Liboi vier Plätze für mögliche neue Bohrlöcher bezeichnet. Am 31.Januar hat das UNHCR uns ohne jede Begründung aufgefordert, alle Aktivitäten einzustellen. Wenn wir hätten anfangen können, wäre das Bohrloch schon da.“

Ähnliches gelte für ein in Liboi geplantes Krankenhaus: „Das UNHCR wechselt alle drei Monate die Leute aus. Es dauert viel zu lange, bis die jeweils ein richtiges Bild bekommen. Wir haben die Pläne vier- oder fünfmal geändert. Jetzt sind sie fertig, aber keiner hat bisher unterschrieben. Das Krankenhaus stünde schon da, wenn sich das UNHCR an die Verträge gehalten hätte. Die brauchen einfach zu lange für Entscheidungen in Nairobi.“ Wer recht hat, läßt sich kaum überprüfen. Unbestreitbar ist: Seit Jahresbeginn arbeitet bereits der dritte UNHCR-Koordinator in Liboi.

Die Firma ITA ist nicht die einzige Organisation, mit der das UNHCR in Fehde liegt. Durchfall, Tuberkulose und Cholera müßten in Liboi bekämpft werden, erklärte Sylvester Awuye vom UNHCR auf einer Pressekonferenz. Die ursprünglich beauftragte medizinische Hilfsorganisation AMREF hat den Vertrag jetzt verloren. Sie arbeitete Awuye zufolge „nicht sehr effizient“. Das will AMREF nicht auf sich sitzenlassen: Es gebe in Kiboi keine Cholera, teilte ihr Generaldirektor Michael Gerber mit und bezichtigte seinerseits das UNHCR der „Verantwortungslosigkeit“. Es sei dessen Aufgabe, die Flüchtlinge mit Nahrung, sanitären Anlagen und Wasser zu versorgen. Die meisten Todesfälle in Liboi seien nicht auf mangelnde medizinische Versorgung zurückzuführen. Im Januar sind im Camp 109 Flüchtlinge gestorben, die meisten Kinder unter fünf Jahren.

Leidtragende bei diesen Streitereien sind die Flüchtlinge: Ihnen geht es kaum besser als ihren Landsleuten in Lagern in Äthiopien — und das, obwohl Kenia über eine gute Infrastruktur verfügt. Anders als in Äthiopien erschweren hier auch keine bewaffneten landesinternen Konflikte die Hilfsaktionen. Und der Bürgerkrieg in Somalia dauert bereits lange genug und ist blutig genug verlaufen, um Kritiker der UNO zu veranlassen, den Hinweis auf eine „unvorhergesehene Notlage“ für einen schwachen Rechtfertigungsversuch zu halten. „Was hat denn das UNHCR sonst für eine Aufgabe, wenn nicht die, ein Problem vorherzusehen und sich darauf einzustellen?“ fragt Steve Hansch, der über Flüchtlingslager in Lateinamerika promovierte und heute im Auftrag einer US-Hilfsorganisation verschiedene Camps in Afrika untersucht. „Sie sind einfach zu spät dran.“

Viele Flüchtlinge machen es ihren Helfern allerdings auch nicht leicht. Von Anfang an war Liboi als Durchgangslager geplant gewesen. Es liegt nur 17 Kilometer von der Grenze entfernt — UN-Regularien sehen vor, daß ein Camp mindestens 50 km weit im Landesinneren liegen muß, damit die Konflikte des Nachbarstaates nicht ins Aufnahmeland hineingetragen werden. Im Lager Ifo, 85 Kilometer von Liboi entfernt, gibt es UN- Angaben zufolge ausreichend Wasser und Unterkünfte für 30.000 bis 35.000 Flüchtlinge. Gegenwärtig leben dort nur 18.000. Aber die meisten Somalis wollen nicht nach Ifo: „Gestern haben mir 1.000 Leute hoch und heilig versprochen, sich von uns nach Ifo bringen zu lassen“, sagt Larry Hollingworth vom UNHCR in Liboi. „Gerade 100 sind heute wirklich gekommen.“ — „Ich weiß nicht, wo mein Mann ist“, sagt eine Frau, Mutter von neun Kindern. „Ich will in Liboi bleiben, weil ich hier größere Hoffnung auf Nachrichten habe.“ Auch andere Flüchtlinge wollen sich einfach nicht zu weit von ihrer Heimat entfernen: „Hier hören wir mehr und können auch schneller zurück“, erklärt ein Mann.

Viele Somalis fühlen sich von kenianischen Polizisten und Soldaten feindselig behandelt und haben auch deshalb Angst, sich weiter ins Land hineinbringen zu lassen. Für die Hilfsorganisationen vergrößert das die Probleme, ebenso wie die Tatsache, daß viele Flüchtlinge Waffen ins Lager geschmuggelt haben und jede Nacht Schüsse zu hören sind.

Flüchtlinge nicht registriert

Aber ist die nach allgemeiner Einschätzung „sehr schlechte Sicherheitslage“ im Lager wirklich eine ausreichende Begründung dafür, daß die Flüchtlinge nicht registriert sind und niemand auch nur eine Ahnung hat, wie viele in Liboi wirklich leben? 97.000 Berechtigungskarten für Lebensmittel sind ausgegeben worden, aber keinesfalls mehr als 55.000 Flüchtlinge sind tatsächlich zu versorgen — vielleicht sogar nur 30.000. Während das UNHCR Spendenmüdigkeit der Geberländer beklagt, werden hier Mittel verschwendet. Andererseits ist gut möglich, daß in Liboi Notleidende leben, die noch überhaupt keinen Berechtigungsschein haben und bei der Verteilung von Lebensmitteln leer ausgehen.

Wenn unter den vergleichsweise günstigen Bedingungen, die in Kenia herrschen, eine menschenwürdige Versorgung von Flüchtlingen und eine geordnete Verwaltung der Lager nicht möglich sind, dann weist dies auf ein grundsätzliches Problem hin. „Die UNO hat — anders als nichtstaatliche Hilfsorganisationen — für Notfälle nicht die richtige Struktur“, gab in der letzten Woche der UN-Gesandte James Jonah in Nairobi zu. Er antwortete damit auf Fragen von Journalisten nach der Rolle der Vereinten Nationen in den Wirren, die das Horn von Afrika seit mehr als einem Jahr erschüttern.

Die UNO ist in diesem Zusammenhang ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Ihre politischen Vermittlungsversuche sind bislang gescheitert. Komplizierte und restriktive Regelungen verhindern vielfach, daß UN-Mitarbeiter in Krisengebieten überhaupt anwesend sein dürfen. Jonah: „Und wie sollen wir die Mitarbeiter dort überhaupt versichern? Es ist sehr schwer, eine zuverlässige Versicherung zu finden.“