„Bologna“-Freisprüche aufgehoben

Rom (taz) — Erstmals in der Geschichte Nachkriegsitaliens scheint das Oberste Gericht, der Kassationshof, entschlossen, mit zwei Grundübeln des Landes aufräumen zu wollen: der Mafia und dem immer wieder mit Geheimdiensten verhandelten Rechtsterrorismus. Nachdem der Zweite Senat bereits vor vierzehn Tagen in einem aufsehenerregenden Urteil die Freisprüche gegen die Mitglieder des obersten Mafia-Leitorgans „Cupola“ aufgehoben hatte, ist seit dem späten Mittwoch abend auch im anderen Bereich eine spektakuläre Kehrtwende zu beobachten: in einer von allen Senatsvorsitzenden gefaßten Entscheidung wurden die Freisprüche im Prozeß wegen des Attentats auf den Bahnhof von Bologna vom 2. August 1980 (85 Tote) aufgehoben und zur Neuverhandlung an das Revisionsgericht zurückverwiesen. Die Entscheidung könnte im gerade laufenden Wahlkampf ein politisches Erdbeben auslösen.

Das Urteil bedeutet nicht nur, daß die mutmaßlich Ausführenden, die Rechtsextremisten Giusva Fioravanti und Francesca Mambra, wieder vor Gericht müssen, sondern auch der Geheimdienstgeneral Musimeci und weitere hohe Offiziere sowie der Chef der 1981 aufgeflogenen kriminellen Geheimloge „Propaganda 2“, Licio Gelli. Vor allem aber bedeutet es, daß sich zwei besonders voreilige Repräsentanten der Nation in die Zunge beißen müssen: Staatspräsident Francesco Cossiga und Ministerpräsident Giulio Andreotti, beide Christdemokraten. Beide hatten nach den Freisprüchen in zweiter Instanz — die erste hatte die materiellen Täter mit Lebenslänglich, die Geheimdienstler mit bis zu zehn Jahren bedacht — dem Rechtsextremismus Abbitte geleistet. Cossiga hatte sich bei den Neofaschisten öffentlich entschuldigt (was diese zu seinen begeistertsten Fans in seinen permanenten Attacken gegen die derzeitige Republik machte), Andreotti hatte gefordert, aus dem Gedenkstein „für die Opfer des faschistischen Terrors“ das Wort „faschistisch“ zu löschen.

Da der neue Entscheid vom gesamten Kassationsgericht getroffen wurde, ist nun höchstrichterlich festgestellt, daß das Attentat rechtsterroristisch und von den Geheimdiensten gedeckt war; die Untergerichte haben bei den nun fälligen neuen Prozessen nur noch die Möglichkeit, den Grad der Beteiligung der einzelnen Angeklagten festzustellen.

Einer allerdings wird wohl wieder glimpflich wegkommen: Logenmeister Licio Gelli. Er kann nur wegen Verleumdung und Falschaussage belangt werden — die Schweizer Behörden hatten den „Maestro venerabile“ nur unter der Bedingung ausgeliefert, daß er nicht wegen politischer Attentate prozessiert wird. Werner Raith