Milliardensteuerpoker im Bundestag

Einen Tag vor der heutigen entscheidenden Abstimmung im Bundesrat über die Mehrwertsteuer reihten sich in Bonn Pressekonferenz an Debatte und Debatte an Erklärung/ Weiter alles offen  ■ Aus Bonn Tissy Bruns

„Habe ich Milliarden gesagt? Ich meinte natürlich Millionen...“ Tatsächlich hatte Jürgen Trittin, niedersächsischer Minister für Bundesangelegenheiten, die Mengenangabe im Eifer des Gefechts ganz weggelassen, so daß das Land Niedersachsen laut Trittin im Jahr 1993 stattliche 889 DM Mindereinnahmen einstecken mußte.

Am Tag vor der Bundesratsentscheidung über das Steuerpaket wurde noch einmal auf allen Tribünen angeprangert, gerechnet, gedroht, geworben. In den Landesvertretungen jonglierten SPD-Regierungsvertreter mit Millionen- und Milliardenbeträgen, um zu beweisen, daß der Bund maßlos und die Länder die Geschröpften seien. Im Bundestag wurde namentlich über das Paket abgestimmt, das Theo Waigel in der letzten Woche im Vermittlungsausschuß durchgepaukt hatte, ohne einen Kompromiß mit den SPD-geführten Ländern zu finden. Vorher wurde die Gelegenheit genutzt: Opposition, namentlich der Parlamentarische Geschäftsführer Peter Struck und Landeschef Gerhard Schröder aus Niedersachsen, und Regierung, namentlich Theo Waigel, fochten die Fehde weiter.

Die SPD gerät, je länger das Tauziehen andauert, mehr und mehr unter Argumentationsdruck. FDP- Chef Lambsdorff im Bundestag über die SPD: „Sie stellen die Parteiräson über Länderinteressen. Sie verhindern die Zuweisung von Milliardenbeträgen an die neuen Länder. Sie wollen das Land Brandenburg zwingen, gegen seine eigenen Interessen zu stimmen.“ In gewohnt schroffer und knapper Form faßt der FDP- Chef zusammen, wogegen sich die SPD mit großer Mühe verteidigen muß.

Peter Struck, neben Oskar Lafontaine für die Bundestagsfraktion führend in den gescheiterten Vermittlungsverhandlungen, dringt mit dem Motto „Solidarität ist keine Einbahnstraße“, sprich: die westlichen Länder brauchen auch Geld, kaum durch. Den sozialdemokratischen Ministerpräsidenten von Brandenburg, Manfred Stolpe, soll er Brutus genannt haben — Struck dementiert nicht energisch.

Während Theo Waigel im Bundestag die Unterschiede in den Reden von Struck und Schröder genüßlich ausbreitet, geht sein eigentlicher Druck weiter in Richtung Brandenburg. Das einzige sozialdemokratisch regierte Land in Ostdeutschland wird sich dem Steuerpaket nur schwer verweigern können, enthält es doch die Mittel zur Aufstockung des Fonds „Deutsche Einheit“, die Brandenburg dringend braucht. Wie Brandenburg sich im Bundesrat verhalten wird, ist denn auch das beliebteste Thema aller Spekulationen unter Politikern und Journalisten, aber auch das, bei dem im Grunde keiner etwas Sicheres weiß.

Bleibt die SPD Brandenburg, die nicht nur vom Koalitionspartner FDP, sondern auch vom Bündnis 90 zur Zustimmung aufgefordert ist, in der sozialdemokratischen Front, dann wird Waigel eine Abstimmung verlieren. Wie es mit Mehrwertsteuer, Familienlastenausgleich und den Finanzhilfen für die neuen Länder weitergeht, liegt trotzdem in seiner Hand. Die Bundesregierung oder der Bundestag kann ein neues Gesetz auf den Weg bringen oder ein neues Vermittlungsverfahren einleiten. Der Bundesrat kann keine Initiative ergreifen.