Die Senatorin mußte ein Haus besetzen

■ Senatorin Bergmann blickt auf eine Odyssee zurück/ Monatelang suchte sie vergeblich ein Gebäude für ihre Behörde/ Als sie eins gefunden hatte, mußte sie die Akten selber schleppen, weil Heckelmanns Beamte den Umzug boykottierten

Berlin. Am 24. Januar 1991, kurz nach ihrer Wahl zur Bürgermeisterin und Senatorin für Arbeit und Frauen, kam Christine Bergmann plötzlich ins Grübeln. »Ich bin Senatorin. Aber wo ist meine Behörde?«, fragte sich die SPD-Politikerin aus Hellersdorf, als sie erschöpft von der Wahlzeremonie in ihrem Bürgermeisterbüro saß.

An diesem Abend wurde der Ostberlinerin langsam klar, daß die Wessis sie in den Koalitionsverhandlungen irgendwie über den Tisch gezogen haben mußten. Die Senatsverwaltung für Arbeit und Frauen, der Bergmann vorstehen sollte, die gab es nämlich gar nicht. Einige Beamte saßen in der Verkehrsverwaltung an der Urania, einige in der Kleiststraße, andere in der Friedrich- und der Askanischen Straße. Die Behörde für Frauenfragen residierte nach wie vor zusammen mit den Senatsverwaltungen für Jugend und Familie am Karlsbad in Tiergarten.

Heute, mehr als ein Jahr später, lädt Bergmann zum Tag der offenen Tür in die Storkower Straße 134. »Wir wollen die Bürger darauf aufmerksam machen«, erläutert Sprecher Lutz Engelke, »daß wir jetzt einen Standort haben.«

Darauf kann Bergmann stolz sein. Ebenso wie Gesundheitssenator Peter Luther, auch er ein Ostberliner, hatte sie sich ein Senatsressort aufhalsen lassen, das aus verstreuten Teilen anderer Behörden erst zusammengeschneidert werden mußte. Und hätte die Arbeitssenatorin nicht irgendwann zur Selbsthilfe gegriffen und einfach ein Gebäude besetzt, so würde sie wahrscheinlich heute noch suchen.

Denn zunächst waren alle Vorschläge geplatzt, die ihr Innensenator Dieter Heckelmann und das ihm unterstehende Landesverwaltungsamt gemacht hatten. Ein Gebäude in der Rauchstraße war zu klein. Das Ribbeckhaus in der Breiten Straße in Mitte war Bergmann schon fest zugesagt, doch im letzten Moment griff der Chef der Senatskanzlei zu: In dieses repräsentative Gebäude, entschied Volker Kähne, möge die Olympia GmbH einziehen.

Man habe Bergmann nicht auf der Straße sitzen lassen wollen, wird von Heckelmanns Beamten beteuert. Heckelmann, Kähne und der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen präsentierten Bergmann bereits im Frühjahr einen neuen Vorschlag: einen vierstöckigen Plattenbau in der Storkower Straße am äußersten Ostrand von Prenzlauer Berg.

Kurz zuvor hatte sich die in der Westberliner Lindenstraße residierende Senatsumweltverwaltung mit Händen und Füßen und am Ende erfolgreich dagegen gewehrt, dieses Gebäude beziehen zu müssen. Von Asbestschäden war die Rede, vom Lärm der nahen S-Bahn und den Fugen und Ritzen, durch die der Wind pfeife. Doch was für den Westsenator Volker Hassemer und seine Beamten nicht gut genug war, sollte Bergmann gefälligst reichen. Von ihren Senatskollegen, die in Sonntagsreden gerne das Prinzip der »Verwaltungsdurchmischung« predigen, erfuhr die Hellersdorferin keine Gnade: »Wenn du da nicht einziehen willst«, fragten sie vorwurfsvoll, »wer denn dann?«

Bergmann fügte sich. Ihre Odyssee war damit noch nicht beendet, denn die Storkower Straße mußte zunächst renoviert werden. So kam es an einem schönen Maitag im Jahr 1991 zu einer Aktion, die in der Geschichte der Berliner Verwaltung ziemlich einmalig sein dürfte. Christine Bergmann, ihre Mitarbeiter und etwa hundert Kollegen und Kolleginnen der Frauenbehörde fuhren mit Privatautos an ihren bisherigen Dienststellen vor, luden die Akten ein und zogen mit Sack und Pack in das Alte Stadthaus an der Klosterstraße, in dem zuletzt der Ministerrat der DDR residiert hatte.

Das Landesverwaltungsamt hatte sich geweigert, Umzugswagen zu bestellen. »Dieser Umzug lief gegen unseren Willen«, erinnern sich die Beamten der Innenverwaltung. Bergmann hatte zwar die Erlaubnis des Hausherrn im Stadthaus, Bundesarbeitsminister Norbert Blüm. Doch genau dies hatte den Argwohn der Senatsbeamten geweckt: Der Bonn-Freund Blüm wollte offensichtlich im Vorfeld der Bundestagsentscheidung beweisen, daß selbst der Berliner Senat unter Platznot litt — wie erst sollte dann die Bundesregierung in Berlin unterkommen? »Freudig« habe Blüm seine Räume Bergmann überlassen, erinnert man sich in der Innenverwaltung. »Und das war uns gar nicht recht.«

Inzwischen, nach einjähriger Amtszeit, ist Bergmann ein Stück weiter. Heckelmanns Beamte drängen Bergmann immer noch, mit ihrem Stab das Alte Stadthaus zu verlassen und ebenfalls in die Storkower Straße zu ziehen. Doch die Beamten wissen selbst, daß dort zunächst eine Privatfirma ausziehen und Platz machen muß.

Bergmanns Behörde verteilt sich auf nur noch drei Gebäude: siebzig Mitarbeiter sitzen in der Friedrichstraße und hundert im Alten Stadthaus an der Klosterstraße. Die zweihundert Mitarbeiter der Abteilungen für Arbeitsmarkt und ABM-Maßnahmen, die bereits in der Storkower Straße residieren, hat es zwar am härtesten getroffen. Aber eigentlich können sie nicht klagen. Die Heizung, die manchmal tagelang etagenweise ausfällt, funktioniert derzeit wieder.

Trotz aller Gerüchte hat man kein Asbest in den Räumen gefunden. Aus einigen Einbauschränken dünstet noch Formaldehyd. Aber demnächst soll auch das beseitigt werden. Hans-Martin Tillack