■ ARTUR, BERLINOID
: Pucki und die Stimmen des Waldes

Foto: Kulturrecycling/Transit-Verlag

Solange Artur sie kennt, hatte sie immer einen Vogel, einen Wellensittich, und der hieß Pucki.

Und weil Beate aus guten Gründen lieber allein lebt, redet sie gern und immer mal wieder mit Pucki, und das genießen beide sehr. Noch in Mütze und Mantel geht Beate in ihren Salon, wie sie sagt, in dem, mit Blick zum Fenster, Puckis Vogelhäuschen hängt.

Zart macht sie sein Türchen auf, aber Pucki bleibt sitzen, legt nur sein Köpfchen schief und zwinkert Beate an. Beate spitzt dann ihre Lippen wie zu einem Kinderküßchen, nähert ihr Gesicht dem Käfig, und — es ist wirklich wahr! — sie schreit den kleinen Wellensittich liebevoll an: »Pucki, Pucki, Pucki, Pucki, Puckiiii!« ruft sie.

»Um des Himmels willen«, denkt Artur, »das ist ja grauenvoll!« Von wegen! Der Vogel freut sich, ganz offensichtlich. Er vollbringt die possierlichsten Kunststückchen, sitzt auf einem Bein, schwingt sich locker um seine Sitzstange, gleich dreimal, spreizt einen Flügel ab und — verbeugt sich.

Artur, zunächst ein wenig zurückgeprallt, vergewissert sich, daß Frau und Vogel wohlauf sind, und er will sich vorsichtshalber doch lieber verabschieden, weiß man, was sonst noch so passieren kann, als Beate anfragt, ob er den Pucki nächste Woche mal in Pflege nehmen könne. »Och, naja, aber...« druckst Artur. »Ich wußte, ich kann mich auf dich verlassen, Artur!« nimmt Beate ihn am Kinn und küßt ihn auf die Nase, »Dann kann ich ja zum Skifahren! Das beste ist, du nimmst den Pucki gleich mit.« Und flugs hatte sie ein regenbogenfarbenes Seidentuch über das Bauer gebreitet, Artur eine Tüte mit Hanfkörnern, ein schmales Heftchen über Wellensittichpflege und das Vogelhaus mit dem Insassen in die Hände gedrückt und ihn dabei zur Türe gedrängt.

Küßchen links, rechts und wieder links, tschö. Tür zu. Artur hatte sich fest vorgenommen, gut zu dem Vogel zu sein. Er plazierte ihn in einen Sonnenstrahl, verabreichte ihm frisches Wasser, den guten Hanfsamen, öffnete die Käfigtür — nichts. Artur streckte die Hände tief in die Hosentaschen, fixierte den Vogel, holte Luft und schrie ihn an: »Pucki, Pucki, Pucki, Puckiii!!« Nichts, wieder nichts. Mit eingezogenem Kopf, hinfällig und die Flügel schlaff, beobachtet ihn das offenbar heimtückische Tier bösartig aus kleinen schwarzen Knopfaugen. Artur ist sehr niedergeschlagen und macht sich Sorgen, aber am dritten Tag wühlt er in seinen alten Schallplatten, rückt die Lautsprecher stereophon neben das Gehäuse des Vogels und setzt das Gerät in Gang. »Die Stimmen des Waldes«, liest er den Titel noch laut vor sich hin, als ein Zwitschern, Trillern und Jubilieren seine Wohnung erfüllt, daß es ihm ganz blümerant wird.

Umsichtig will er noch schnell das Fichtennadelspray aus dem Bad holen, um alles so komfortabel zu gestalten wie nur irgend möglich, da sieht er den Wellensittich.

Keck und triumphierend thront das Tier mit geschwellter Brust auf seinem Käfig, putzt sich, stößt einen durchdringend ankennenden Pfiff aus, legt eine atemberaubende Sturzflugpirouette hin und ist — schwups — durchs Oberlichtfenster entfleucht.

Beate hat jetzt neue Vögel, drei Stück. Clemens Walter