Am Rande des Zusammenbruchs

■ Feminismus in der Krise?/ Ein Symposion über Frauenforschung und feministische Wissenschaft an der FU

Drangvolle Enge im stillen Dahlem. Über einhundert Frauen drängen sich sitzend, stehend, hockend im großen, aber zu kleinen Seminarraum des Instituts für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Freien Universität, um über Frauenforschung und feministische Wissenschaft nachzudenken.

»Etablierung eines Ausschlusses oder: Wohin sollen wir uns wenden?« lautete das Thema des Symposiums, das von Studentinnen und Wissenschaftlerinnen verschiedener Fachrichtungen organisiert und vom Allgemeinen Studentenausschuß der Freien Universität in Dahlem finanziert wurde. In der Enge des Instituts- Raumes war von Wendemöglichkeit keine Rede — was sich zeitweilig leider auch auf die Diskussionen auswirkte. Die gelöste Atmosphäre der ersten beiden Tage wandelte sich am Sonntag — wohl auch infolge der einsetzenden Erschöpfung — in eine unerwartet gereizte und aggressive Stimmung. Der im Programm angekündigte Versuch, Vertreterinnen zweier divergierender methodischer Richtungen einmal ins Gespräch miteinander zu bringen, drohte zu scheitern.

Der eher sozialwissenschaftlich/ historisch orientierte Frauenforschung, die inzwischen auch im deutschsprachigen Raum an den Universitäten verankert ist, stehen die als »poststrukturalistisch« bezeichneten feministischen Theorieansätze gegenüber. Am Vortrag von Cornelia Klinger (Philosophin in Wien), die einen Text von Derrida auf die Begriffe »Weiblichkeit« und »Frau« hin untersuchte, entzündete sich der Streit um die »richtige« Methode, der im Vorwurf der Verbreitung von Herrschaftswissen kulminierte, was erschrockene Bestürzung auslöste und — so ist zu hoffen — zum Überdenken eigener Positionen sowie zu weiteren Tagungen führen wird.

Wohltuend anregend waren Referentinnen wie Gesa Lindemann (Soziologin in Berlin) und die Philosophin Käthe Trettin (Frankfurt/M.). Lindemann zeigte, wie rasch feministische Theorien, die mit Begriffen wie »Sex« und »Gender«, also mit der Unterscheidung von biologischem und sozialem Geschlecht argumentieren, in eine Sackgasse geraten können. Mit Blick auf andere Kulturen und auf Phänomene wie Transsexualität stellte sie dar, daß auch die vermeintlich »natürlichen« Körper als sozial konstituiert angesehen werden können.

Käthe Trettin bewegte sich in ihren Untersuchungen in eine ganz andere Richtung. Sie fragte nach den Grenzen, aber auch nach den Möglichkeiten feministischer Theorie in Gebieten wie Logik oder Künstlicher Intelligenz. Diese beiden Vorträge bildeten den Rahmen des Symposiums und entließen die Teilnehmerinnen trotz aller Streitereien mit dem Gefühl, daß mit feministischer Wissenschaft doch auch die Möglichkeit zu grenzüberschreitendem — wenn nicht gar utopischem? — Denken gegeben sein kann.

In dieser »grenzüberschreitenden« Hinsicht wäre es auch interessant und spannend gewesen, eine Wissenschaftlerin aus den »neuen« Bundesländern zu hören. Dieser Wunsch wurde auch von einer Teilnehmerin geäußert, die auf — inzwischen verworfene — Pläne hinwies, am soeben abgewickelten Institut für Marxismus an der Humboldt-Universität einen Fachbereich Feministik (!) zu installieren. Die Literaturwissenschaftlerin Barbara Hahn (Berlin) nahm diesen Gedanken auf und äußerte die Befürchtung, daß der Feminismus als letzter akademischer »-ismus« auf dem besten Wege sei, den Marxismus in seiner ideologischen Sinnstiftungsfunktion abzulösen.

Marlies Janz (Literaturwissenschaftlerin, Berlin) hingegen beklagte, daß nach zwei feministischen Entwicklungsphasen — dem kulturtheoretischen Ansatz von Silvia Bovenschen und einem radikalfeministischen (und gefährlich essentialistischen) der »Hamburger Schule« um Sigrid Weigel — nun die Zeit der »feministischen Ordinariate« angebrochen sei, war jedoch nicht bereit, eine Einschätzung ihres eigenen Standortes und ihrer Position als Professorin für Frauenforschung zu geben. Marlies Janz wandte sich auch gegen die Behauptung, daß poststrukturalistische Ansätze feministischer Theoretikerinnen an deutschen Universitäten nicht repräsentiert seien; im Gegenteil seien genau diese Ansätze inzwischen der »Königsweg« zu einer Stelle. Sie forderte einen »besseren« Poststrukturalismus« — ohne die Vernachlässigung sozialgeschichtlicher Dimensionen.

Der zweite Strang der Diskussion betraf die hochschulpolitische Ebene. Die inzwischen vermehrt eingerichteten Frauenförderprogramme scheinen dazu geführt zu haben, daß — wenn überhaupt — nur noch diejenigen Wissenschaftlerinnen, zumindest in den Geisteswissenschaften, Chancen auf einen Lehrstuhl haben, die sich ausdrücklich als Frauenforscherin deklarieren. Besonders Barbara Hahn wies noch einmal auf diese Entwicklung hin. Frauenforschung wird nach ihrer Interpretation innerhalb der einzelnen Fachbereiche zu einer marginalisierten Enklave und verhindert gleichzeitig den Zugang von habilitierten Frauen zur Universität, die sich weder »Frau« noch »Geschlecht« auf ihre Forschungsfahnen geschrieben haben.

Dennoch bestanden Wissenschaftlerinnen wie Theresa Wobbe (Soziologie, Berlin), Andrea Maihofer (Philosophie, Frankfurt/M.) und Hilge Landweer (Philosophie, Berlin) auf der Notwendigkeit von Frauenforschung — auch wenn weder die Fragen nach politischen Strategien und Perspektiven, noch die Begriffe des Politischen und Sozialen, noch der Bezug von akademischem Feminismus zur außeruniversitären Frauenbewegung (so denn diese noch existiert) geklärt sind.

Die Komplexität der »Frauenfrage« in ihren Ausprägungen und Widersprüchen, die auf dem Symposium vom vergangenen Wochenende in ganzer Breite deutlich wurde, brachte die meisten der Teilnehmerinnen trotz des angebotenen Kuchens und viel Kaffee an die Grenzen ihrer Aufnahmefähigkeit. Der Tagungsraum glich einem Kinosaal nach der Vorführung eines Kultfilms, die Veranstalterinnen waren dem Zusammenbruch nahe, aber doch zufrieden. Denn die überraschend hohe Teilnehmerinnenzahl läßt immerhin vermuten und hoffen, daß die Zeit des Antifeminismus unter Feministinnen noch nicht angebrochen ist. Hannah Bogen