Kein Ort für Menschenrechte

■ Die Bundesregierung sagte überraschend die UNO-Menschenrechtskonferenz in Berlin ab/ Scharfe Kritik aus Berlin

Berlin/Bonn. Auf Empörung und Unverständnis ist gestern in Berlin und Bonn die Entscheidung der Bundesregierung gestoßen, die für Juni 1993 in Berlin geplante UNO-Menschenrechtskonferenz abzusagen. Wie gestern bekannt wurde, hat Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher in einem Brief an den UNO-Generalsekretär Butros Ghali den Rückzieher mit der Lage Berlins nach der Vereinigung begründet. Eine gewichtige Rolle dürften auch die Kosten gespielt haben: Wie die 'Frankfurter Rundschau‘ gestern unter Berufung auf diplomatische Kreise vermutete, sei eine Summe von 100 Millionen Mark nötig, um die von der UNO gesetzten Auflagen für eine solche Konferenz zu erfüllen. Außerdem, so befürchtete der Außenminister, verschiebe sich durch die Konferenz der geplante Umzug von Teilen der Bundesregierung und des Parlaments von Bonn nach Berlin. Noch im September vergangenen Jahres war Genscher anderer Ansicht: Vor der Vollversammlung der UNO freute er sich damals über den Zuschlag für Berlin als Ort »für eine neue Ära der Menschlichkeit und der Zusammengehörigkeit Europas«. Zu der Konferenz waren etwa 150 Minister und rund 20.000 Teilnehmer aus der ganzen Welt erwartet worden. Als neuen Veranstaltungsort schlug Genscher Genf vor.

Senatssprecher Dieter Flämig erklärte gestern die Absage für vorschnell: »Jetzt muß endlich Schluß sein mit solchen Entscheidungen und Ausreden auf Kosten der Hauptstadt.« Der Berliner Senat monierte außerdem, daß er über die Bonner Pläne nicht informiert worden sei. Auch der SPD-Vorsitzende Walter Momper fand scharfe Worte. Das Verhalten der Bundesregierung sei unmöglich. »Anscheinend ist das Auswärtige Amt nicht in der Lage, sich auf veränderte Verhältnisse einzustellen.« Amnesty international übte ebenfalls scharfe Kritik an dem Bonner Alleingang. Die Menschenrechtsorganisation bezeichnete die Bonner Begründungen als unglaubwürdig und warf der Bundesregierung vor, beim Thema Menschenrechte nur Lippenbekenntnisse und Sonntagsreden zu schwingen. kd