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Eine Symbolfigur ins Zwielicht gesetzt

Dem Unterzeichner der Charta 77, Zdenek Mlynar, wird in der CSFR Vaterlandsverrat vorgeworfen  ■ Aus Prag Sabine Herre

Ist Zdenek Mlynar, Unterzeichner der Charta 77, ein Vaterlandsverräter? Bereitete er gemeinsam mit Vasil Bilak, Milos Jakes und anderen kommunistischen Funktionären, nach der Niederschlagung des Prager Frühlings durch die Panzer der Warschauer-Pakt-Staaten im August 1968 in der Prager Botschaft der UdSSR die Bildung einer prosowjetischen „revolutionären Arbeiter- und Bauernregierung“ vor?

Zu diesem überraschenden Ergebnis kommt zumindest ein Untersuchungsbericht der tschechoslowakischen Polizei, der am Mittwoch in Prag bei einer Pressekonferenz des Inneministeriums veröffentlicht wurde. 18 ehemalige Funktionäre der KPC werden darin beschuldigt, die gesellschaftliche Ordnung des „Sozialismus mit menschlichem Antlitz zersetzt“ zu haben. Landesverrat kann in der CSFR mit bis zu lebenslänglicher Haft bestraft werden. Da die Verjährungsfrist jedoch bei 20 Jahren liegt — und ein Teil der Beschuldigten bereits tot ist — wird nicht mit einer Anklageerhebung gerechnet. Von den Vorwürfen gegen Mlynar wurden jedoch nicht nur die Teilnehmer der Pressekonferenz überrascht, überrascht war auch Mlynar selbst. Denn, so der heute in Österreich lebende Jurist in einer ersten Erklärung, das untersuchende Organ habe ihn niemals über die Beschuldigung unterrichtet, er sei niemals verhört worden.“ Mlynar wies jedoch nicht nur die „Behauptung, daß ich im August 1968 die Straftat des Vaterlandsverrates begangen habe, entschieden zurück“. Gleichzeitig griff er auch das Innenministerium an: „Die öffentliche Beschuldigung durch den Pressprecher Fendrych sehe ich als einen Mißbrauch seiner Funktion zur Verbreitung politischer Verleumdungen“. Schließlich, so Mlynar, der 1970 aus der KP ausgeschlossen worden war, habe er seine Sicht der Ereignisse bereits 1978 in seiner Autobiographie „Nachtfrost“ dargestellt. Der Verlauf der Besprechungen in der sowjetischen Botschaft sei also seit 15 Jahren bekannt. „Wer jetzt behauptet, daß ich im August 1968 der fremden Okkupationmacht helfen wollte, muß auch erklären, warum ich mehr als 20 Jahre lang als Feind der KPC und der UdSSR verfolgt wurde“.

Tasächlich muß das Ergebnis der Untersuchungskommsion im „Fall“ Mlynar mit einem großen Fragezeichen versehen werden. So nahm der ehemalige KP-Sekretär zwar am 22. August 1968 an dem Treffen in der sowjetischen Botschaft teil, nach Aussage des tschechischen Historikers V. Mencl tat er dies jedoch als „Spion“: „Zdenek Mlynar war in der Botschaft, um zu erfahren, was sich dort tut. Um nicht aus den Verhandlungen ausgeschlossen zu werden, mußte er den gleichen politischen Standpunkt wie die Mehrheit der Anwesenden vertreten.“ Gleichzeitig hätte Mlynar jedoch die Verteidiger des „Prager Frühlings“, aus der Botschaft telefonisch über das dortige Geschehen informiert.

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