Siemens will an Fischers Geldbörse

Siemens verklagt Hessen auf Schadenersatz/ Töpfer klagt vor dem Bundesverfassungsgericht  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Main (taz) — Nur einen Tag nach Einreichung der Verfassungsklage durch Bundesumweltminister Klaus Töpfer gegen das Land Hessen und dessen Umweltminister Joschka Fischer zieht auch der verhinderte Mischoxyd-(MOX)- Brennelementehersteller Siemens vor den Kadi: Die Weltfirma erhob gestern Schadenersatzklage gegen das Land Hessen „wegen der Verzögerung bei der Aufhebung der Stillegungsverfügung gegen unser Hanauer Brennelementewerk“.

Joschka Fischer ordnete noch am Nachmittag die Wiederinbetriebnahme der Anlagen an. Es wird allerdings zwei Wochen dauern, bis bei Siemens wieder produziert werden wird. Sollte bis dahin die von Fischer vorgeschlagene Alternative der Verbringung der Spaltstoffgebinde in den Atombunker technisch umsetzbar sein, ist an eine Aussetzung der Anordnung der Wiederinbetriebnahme gedacht.

Auf „mehrere hunderttausend Mark pro Tag“ belaufe sich der Umsatzausfall der Brennelementewerker, erklärte das Siemens-Vorstandsmitglied, Adolf Hüttl: „Wir haben die Sach- und Rechtslage eingehend überprüft und sind zu dem Ergebnis gekommen, daß der hessische Umweltminister die Firma Siemens rechtswidrig schädigt. Das können und wollen wir nicht länger hinnehmen.“

Der Christdemokrat Töpfer, der am Mittwoch in Karlsruhe eine Verfassungsklage eingereicht hatte, verlangt die umgehende Aufhebung der insgesamt drei Verfügungen, mit denen der Grüne als Aufsichts- und Genehmigungsminister „aus Sicherheitsgründen“ den MOX-Betrieb in Hanau im vergangenen Sommer stillgelegt hatte. Mit seiner atomaufsichtsrechtlichen Weisung wollte Töpfer das Leerfahren der MOX- Anlage erzwingen — gleichfalls „aus Sicherheitsgründen“. Auf die von Fischer vorgeschlagene Gefahrenbeseitigung durch die Verbringung der noch im Produktionsbereich befindlichen Spaltstoffgebinde in den Bunker auf dem Siemens-Gelände war Töpfer nicht eingegangen.

Gegenüber der taz wies der Sprecher des hessischen Umweltministeriums, Georg Dick, darauf hin, daß die Vorbereitungen zu einem Wiederanfahren der Hanauer Anlagen seit der Töpferschen Weisung „laufen“ würden: „Hessen ist bundestreu.“ Eine seit mehr als einem halben Jahr stilliegende Anlage könne „nicht von heute auf morgen“ wieder angefahren werden.

Und auch die rechtliche Situation müsse vor einer Wiederinbetriebnahme „abschließend geklärt“ sein. Dick: „Wir haben schließlich eine Fürsorgepflicht gegenüber den Beamten, die mit den einzenen Verfahrensschritten bei der Aufhebung der Stillegungsverfügungen befaßt sind.“ Schon einmal, so Dick, seien hessische Beamte wegen der rechtlich umstrittenen Vorabgenehmigungen für die Plutoniumfabrik ALKEM — heute Siemens- Brennelementewerk — von einem ordentlichen Gericht verurteilt worden.

Ein „strafrechtliche Risiko“ für die Beamten wird durch ein von Fischer gestern vorgelegtes Rechtsgutachten erneut bestätigt. Der Landesminister mache sich dann strafbar, so das Gutachten, wenn die vorgeschlagene Alternative der drucklosen Lagerung der Spaltstoffe im Bunker „technisch und zeitlich“ machbar sei — und dennoch per Sondergenehmigung die Produktion wieder angefahren werde. Fischer kündigte deshalb an, seine Anordnung zur Abarbeitung der sogenannten Master-Mix- Gebinde von gestern dann wieder aufzuheben, wenn die drucklose Einlagerung im Bunker „technisch machbar“ werde.