■ PREDIGTKRITIK
: Klimmzüge ins Himmelreich

Eingebaut zwischen gründerzeitlichen Häuserzeilen, gibt sich meine evangelische Kirchengemeinde »Jesus« eher konspirativ und versteckt sich hinter einer fünfgeschössigen Kachelfassade derart gekonnt, daß ich das diskret bekreuzte Gebäude bisher bestenfalls für ein verschwiegenes Diakonissenheim gehalten habe. Der solchermaßen säkularen Erscheinung nach erwarte ich nun beim Eintreten in mein Haus Gottes mindestens einen kleinen Fahrstuhl zum Himmel (ist ja ab fünf Stockwerken Vorschrift!), muß aber dann doch den Betraum per pedes erklimmen. »Die Kirche sei im ersten Stock«, wird mir gewiesen, und so mache ich mich noch vor dem Frühstück auf den beschwerlichen Weg zu Gottes Wort.

Dieser Morgen, er wird auch im weiteren sportlich bleiben. Denn heute dreht sich alles um die Olympischen Spiele und diverse Klimmzüge ins Himmelreich. »Nehmen wir«, so empfiehlt Pfarrer Helmut Müller seiner Gemeinde, »nehmen wir unser Christsein so ernst wie der Sportler den Sport.« An den ewigen Siegeskranz sollen wir stets denken, in all unserem Handeln und Tun. Dabei gilt es, mit unseren Pfründen und Talenten zu wuchern, denn die sind ja doch allesamt vom lieben Gott, und deshalb haben wir auch die Verpflichtung, diese »unsere Gnadengaben« ohne Abstriche in Aktionen umzusetzen. Wer sich aber nicht anstrengt, der verliert im Kampf um die Seligkeit. Denn vor Gottes Angesicht gelten andere Regeln: Da wird ein »geringerer« Christ, der seine mager empfangenen Gaben aber hundertprozentig dem lieben Gott opfert, mit Sicherheit das begehrte Kleinod des Siegerkranzes viel schneller erlangen als der, der seine reichen Talente nur halbherzig auf den Opfertisch des Lebens darbringt. So und nicht anders ist dann auch das Bibelwort »Die letzten werden die ersten sein« zu verstehen.

Weil sich zugegebenermaßen bei diesen verqueren Wettkampfmodalitäten selbst der braveste Christ nicht mehr auskennen kann, dient Paulus seinen ratlosen Gemeindeschäfchen im Korinther Brief die schlichte Trainerweisheit: »Laufet also, wie wenn ihr der erste sein müßtet« an. Daß es bei diesem Wettkampf mit rechten Dingen zugeht, dafür sorgt der liebe Gott höchstselbst, denn der Herr ist ein fairer, irrtumsfreier Kampfrichter — unbestechlich und gerecht. Auf seine Siegerehrung dürfen wir uns demnächst einmal freuen — vorausgesetzt, wir haben nicht etwa beim Laufen geschummelt oder, wie neulich Katrin Krabbe, versehentlich in das falsche Röhrchen gepißt. Doping oder Beinchenstellen ist nämlich auf dem Sprint zur Heiligkeit nicht erlaubt und auch nicht ratsam, hat der liebe Gott doch seine Augen überall und somit auch die besten Urinkontroll-Labors.

Irgendwie sind wir also alle Sportler auf dem Sprint ins Himmelreich. In dieser Disziplin ist jeder zugelassen, und so laufen wir und laufen wir — jeder nach seiner Art, aber alle immer volle Pulle. Das Trainingsfeld, auf dem wir solchermaßen an unseren Gottesgnaden arbeiten, ist natürlich die Kirchengemeinde. Hier in unserer nächsten Umgebung gilt es, unsere Kondition in Sanftmut, Nächstenliebe und Frömmigkeit zu prüfen. Dabei will uns natürlich immer unser dummer Leib einen Strich durch die Rechnung machen. Das kennt das Menschengeschlecht schon seit Adam und Eva, denn womit haben die beiden schließlich den verlockenden Apfel gesehen: mit den Augen — und das ist immerhin auch ein Stück Leib. Trotzdem erscheint es mir, daß es in diesem Punkte dem Pfarrer Müller noch um ganz andere Dinge gehen muß, wenn er uns so eindringlich warnt: »Unser Leib ist das Schlimmste, was es geben kann!« Ob er wohl das Knurren meines Magens bis auf die Kanzel hören kann? Oder kennt er Boris Beckers Probleme mit dem linken Oberschenkel, die ihn so oft am Erringen des Siegerkranzes hindern?

Egal! Wir müssen uns jedenfalls schinden und kasteien, dürfen das Ziel nicht aus den Augen verlieren und die süßen Äpfel des Lebens links liegenlassen. »So ist das im Lebenslauf des Glaubens«, sagt Pfarrer Müller. Wenn wir alles richtig gemacht haben, winkt am Ende immerhin der »ewige Siegerkranz«. Nun endlich rückt er damit heraus, um was für eine Trophäe es sich denn nun handelt: natürlich — da hätte man ja auch selbst drauf kommen können —, der Siegerkranz, das ist das ewige Leben, und als Kraft zum Sieg — also als so eine Art legitimes Dopingmittel — dient uns das Evangelium.

So ist das im Lebenslauf des Glaubens. Noch ein paarmal auf und nieder, hier ein kleines Liedchen, da die Kollekte, entläßt uns Pfarrer Müller mit Händedruck und evangeliengestärkt wieder in die Tretmühle des alltäglichen Lebenskampfs. Gehet hin in Frieden — Auf die Plätze, fertig — Amen! Klaudia Brunst