piwik no script img

Gekocht oder gegrillparzert?

■ »Wehe dem, der lügt« von Franz Grillparzer am Schloßpark-Theater

In John Irvings Garp oder wie er die Welt sah wird der österreichische Dramatiker Franz Grillparzer zum geflügelten Wort: »Möchtest du dein Ei gekocht oder gegrillparzert?« fragt Garp. Die beschriebene nordamerikanische Familie leidet an einer Grillparzer-Paranoia — während ihres Aufenthalts in Wien scheint sie der Name auf Schritt und Tritt zu verfolgen.

Wen wundert's, daß Irving mit so erregenden Figuren wie »Kunigunde von Massovien«, »König Ottokar von Böhmen« oder »Ajaxerle, dem Magier aus Donaueschingen« herzlich wenig anfangen kann. Schließlich sind Grillparzers romantische Schauerdramen auch hierzulande nicht gerade häufig auf den Bühnen zu sehen. Eine Ausnahme mag die einzige Grillparzersche Komödie sein: Weh dem, der lügt. Bei ihrer Uraufführung 1838 fiel sie durch, frustriert zog sich der Autor daraufhin aus dem Theaterleben zurück.

Ob man dieses Lustspiel über »zivilisierte Christen« und »barbarische Heiden« des 10. Jahrhunderts nun mag oder nicht — den Regisseuren Nikolaus Büchel und Alfred Kirchner ist eine erfreulich lebendige Bühnenfassung gelungen. Wenige, dafür aber um so gezieltere Streichungen nehmen dem Stück die gröbsten christlich-moralischen Ausfälle; gespielt wird mit viel Witz und Klamauk, ohne dabei in die Nähe von boulevardesker Leere zu geraten.

Alles dreht sich um Leon, Koch im Hause von Bischof Gregor. Er bietet sich an, den mißratenen, vom Nachbarvolk entführten Neffen des ehrenwerten Kirchenmanns zu befreien. Der Bischof nimmt das Angebot an — einzige Auflage: keine noch so winzige Lüge darf dem Unternehmen zum Erfolg verhelfen. Leon läßt sich daraufhin als Koch bei den Entführern einstellen.

Die Komik in Weh dem, der lügt entsteht vor allem aus dem Zusammenprall zweier kontrastierender, bei Büchel/ Kirchner fast schon comichaft überzogener Lebenssphären. Da ist auf der einen Seite der kecke und gedankenschnelle Leon aus der zivilisierten Welt. Thomas Wolff verleiht ihm einen überzeugenden, jungenhaften Charme. In zu kurzen Hosen, Turnschuhen und Hosenträgern hangelt er sich temperamentvoll von einer gefährlichen Situation zur nächsten — ohne zu lügen, versteht sich.

Ihm gegenüber stehen Graf Kattwald und sein Gefolge. Das gräflich- finstere Gemäuer wird von der Bühnenbildnerin Gabriella Ausonio nur angedeutet: auf dem Bühnenboden liegen Einzelteile von Ritterrüstungen verstreut, hier ein Helm und dort ein Handschuh, an der Wand hängen Lanzen und Speere. Eindrucksvoll dann das Erscheinen des unkultivierten Waldvolks: stramme Beinkleider unter Blech, Pflaster im Gesicht, seltsame Kopfbedeckungen von Kettenhelmen bis zur Kettenpudelmütze.

Ist schon der Graf (Helmut Wildt) nicht gerade ein Ausbund an Freundlichkeit und Geistesgröße, so übertrifft ihn sein potentieller Schwiegersohn Galomir noch um Längen. Heino Ferch kann dieser ohnehin schon dankbaren Rolle einiges an Witz hinzufügen. In obelixhafter Manier schlägt er erst einmal zu, bevor er nachdenkt — wenn das Wort »denken« in diesem Zusammenhang überhaupt statthaft ist! Anstelle von ganzen Sätzen stammelt er Wortfetzen, ist konsequent zur falschen Zeit zur falschen Stelle, ein richtiger Dumpfbold eben und so sensibel wie sein Brustpanzer.

Aus dem geistigen Ungleichgewicht der Kontrahenten ließe sich auf ein schnelles Ende des Leonschen Unterfangens schließen. Doch weit gefehlt: Leon schleppt einen Riesenklotz am Bein, den blasierten und verzogenen bischöflichen Neffen Atalus (Jürgen Elbers). Der mag sich nicht so recht mit seinem Personal verbünden, bockt und trotzt selbst nach gelungener Flucht aus dem Gemäuer. Die Flucht führt die Verfolgten zu einem breiten Fluß. Einmal mehr bereitet auch hier der inszenierte Verzicht auf Naturalismus Vergnügen. Der Fluß, er ist nur eine schmale Vertiefung im Bühnenboden, die Schauspieler springen hinein, und mit imaginären Paddeln und wellengemäßen Auf- und Abbewegungen kämpfen sie sich ans andere Ufer. Weiter geht die Verfolgungsjagd, führt in einen Wald, dessen Bäume die Schauspieler in Form von Tannen mit Ballen selbst auf die Bühne tragen müssen. Ebenfalls weiter währt der Streit zwischen Leon und Atalus.

Atalus, der Eitle, und Edrita (Friederike Wagner), die hilfreiche und quirlige Tochter des Grafen, fallen aus den vorhergehenden eindeutigen Gut- und Böse-Zuordnungen heraus. Atalus ist zwar Christ, aber unkooperativ, dumm und faul, und die Barbarin Edrita kann Leon am Ende sogar mit Gregors Segen heiraten — ein unerwartetes Zugeständnis, denn gerade am Schluß des Stückes werden noch einmal alle Register christlichen Aberglaubens gezogen: ein göttliches Wunder wird erbeten und erfolgt auch prompt. Da kann dann auch die Inszenierung nicht mehr viel löten, das Stück muß ja irgendwie zu Ende gehen.

Zwischendurch blieb der Schmäh dank der gelungenen Ensembleleistung getrost vergessen — spätestens hier aber fühlt man sich wieder mit John Irving verbunden. Sicherlich: In dieser Inszenierung wird nicht nur mit Wasser gekocht — aber gegrillparzert ist sie doch. Anja Poschen

Die nächsten Vorstellungen sind am kommenden Dienstag, 18. Februar, und am Freitag, den 21. Februar, jeweils um 20 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen