Zum Nachteil oder zum Vorteil der Partei?

■ Im Prozeß um 107 Millionen der PDS geht es am Montag um die Glaubwürdigkeit der Anklage/ Das Verfahren schleppt sich seit September dahin

Berlin. Anträge zur Befangenheit der Richter, auf Aussetzung oder nur auf Herbeiziehung weiterer Akten, bestimmen seit gut einem halben Jahr das Bild im Verfahren um die Millionen-Veruntreung durch PDS-Mitarbeiter. Angeklagt sind neben Wolfgang Pohl und Wolfgang Langnitschke, die im Vorstand der Partei für die Finanzen zuständig waren, Karl-Heinz Kaufmann aus Halle. Seine zahlreichen Versuche, 107 Millionen DM bei einer ordentlichen Bank zu parken, führten im Oktober 1990 zur Aufdeckung einer Affäre, welche die Berliner Justiz nun zunehmend in Beweisnot führt. Der jüngste Vorstoß der Verteidigung zielt jetzt darauf, die Haftbefehle gegen Pohl und Langnitschke, die bislang nur ausgesetzt sind, aufheben zu lassen.

Mit einem 37 Seiten starken Gutachten des Münsteraner Rechtsprofessors Heribert Schumann zweifeln die Pohl-Anwälte Gerhard Jungfer und Walter Venedey die Anklage überhaupt an. Tenor: Pohl und Langnitschke haben die Vermögensinteressen der PDS nicht verletzt, sondern — im Gegenteil — wahrgenommen. Die Anklage sei daher nicht haltbar, damit auch Kaufmanns »Teilnahme« hinfällig.

Sollte dem Antrag der Verteidiger heute stattgegeben werden, könnte dies das Ende eines Prozesses sein, der von Beginn an von Merkwürdigkeiten und Unstimmigkeiten begleitet war. Auseinandersetzungen zwischen Verteidigern und dem Vorsitzenden Richter Hansgeorg Bräutigam nehmen zuweilen eine Schärfe an, die Prozeßbeobachter in peinliche Verlegenheit oder zum Lachen bringen. Die Prozeßbeteiligten schenken sich nichts. Beharrliche Fragen der Verteidiger, Diskurse über die Strafprozeßordnung und oft genug nur akustische Mißverständnisse quittiert Bräutigam mit Auszeiten, mal zehn Minuten, mal eine Viertelstunde, um die erhitzten Gemüter abzukühlen. Bei endlosen Zeugenaussagen passiert es schon mal, daß Schöffen oder Justizwachtmeister einnicken. So ist auch das Medieninteresse an dem Verfahren nach und nach eingeschlafen. Nur »Starzeugen« wie PDS-Chef Gysi oder der ehemalige Ministerpräsident Hans Modrow locken die auf Fotos versessenen Berichterstatter.

Bis in die kleinste Einzelheit hat das Gericht die Odyssee der Millionensummen verfolgt, von Berlin bis Bocholt, Utrecht und Oslo. Banker, Rechtsberater, Kriminalisten und Makler gaben Auskunft über fast alles, was mit den Transaktionen zu tun hatte. Nur bei den immer wiederkehrenden Fragen der Verteidigung nach eventueller Mitarbeit von Geheimdiensten, auch des BND, wollen BKA- und Berliner Kriminalbeamte nichts mehr sagen und ziehen sich auf ihre beschränkten Aussagegenehmigungen zurück. Währenddessen bleiben die drei Angeklagten bei ihrem Schweigen.

Seit die »PDS-Millionen« im Oktober 1990 zum ersten Mal durch die Öffentlichkeit geisterten, scheint der Fall klar zu sein, der vor dem Berliner Landgericht verhandelt wird. Die Partei des Demokratischen Sozialismus, Auffanggesellschaft einer politisch bankrotten Staatspartei, hatte versucht, wenigstens ihr Vermögen zu retten. »Die Affäre könnte die PDS-Chancen bei der Bundestagswahl zunichte machen«, so der 'Spiegel‘ am 29. Oktober 90.

Als die drei Beteiligten an insgesamt 107 Millionen DM umfassenden Transaktionen zum ersten Mal im September 1991 vor der 5. Großen Strafkammer erschienen, wurde bald klar, daß mit einem raschen Ende des Verfahrens nicht zu rechnen sein würde. Zum einen kamen den sechs Verteidigern von Pohl, Langnitschke und Kaufmann formale Fehler des Gerichts gelegen, um die Legitimität des ganzen Ermittlungsverfahrens anzuzweifeln; zum anderen lautete die Anklage auf Untreue zum Nachteil der PDS — so, als hätten sich Pohl und Langnitschke an den 107 Millionen bereichern und Kaufmann noch daran beteiligen wollen. Genau das aber ist im Laufe der mittlerweile mehr als dreißig Verhandlungstage schon mehrmals widerlegt worden. Kein Wunder, wenn Gregor Gysi, als er Ende November als Zeuge vor Gericht erschien, von einer »Farce« sprach, »etwa so, als ob einem Angeklagten formal vorgeworfen wird, Körperverletzung begangen zu haben, in Wirklichkeit aber, einen Totschlag zu verhindern«. Gysis Schlußfolgerung: »Wenn die Partei um das Geld geschädigt werden sollte, müßte sie es auch zurückerhalten.« Daran denke aber, so der quirlige Nachlaßverwalter der auf 250.000 zusammengeschrumpften Einheitssozialisten, weder in der Justiz noch in der Treuhand irgend jemand.

Da hat er recht. Tatsächlich machte die Treuhand erhebliche Anstrengungen, an das Geld heranzukommen, nachdem Kaufmann es als Repräsentant der Moskauer Firma Putnik durch halb Nordeuropa hin und her überwiesen hatte. Unter den Dutzenden von Zeugen, die im Saal 621 des Moabiter Kriminalgerichts aussagten, war auch Hans-Werner Klein. Der stellvertretende Abteilungsleiter »Recht« der Treuhand arbeitete vorher in einer angesehenen Hamburger Kanzlei einer Düsseldorfer Anwaltsfirma, deren prominentester Sozius Graf Lambsdorff ist. Und an die erinnerte sich Klein bei der Treuhand, als es galt, das Geld, im Oktober 1990 gerade in Oslo, wiederzubeschaffen. Honorar: etwa 380.000 DM nebst weiteren 120.000 für die Osloer Anwälte. Hans-Werner Klein: »Es mußte schnell gehen, und es wurde nach Gebühren abgerechnet.« Nachfragen nach seiner Stellung am Tage der Auftragserteilung, nämlich schon Amtsträger in der Treuhand oder noch Sozius, begegnete er indes unwirsch mit: »Komische Veranstaltung ist das hier«.

Bis zum 2. Januar war das Verfahren ursprünglich angesetzt. Mittlerweile sind schon Termine bis Mai vergeben. Sollte der jüngste Verteidiger-Antrag nicht durchkommen, ist auch dieser Termin nicht sicher. Dann könnte das eingeübte Verfahren von Aussetzungsanträgen und unbeirrter Zeugeneinvernahme noch ein halbes Jahr weitergehen — so die Zeugen denn da sind. Denn manche Aussage scheiterte schon an der Bundespost, die Ladungen nicht innerhalb einer Woche nach Ost-Berlin befördern konnte, oder auch nur daran, daß ein Zeuge nicht greifbar war. Valentin Falin etwa wollte die Justiz im vergangenen Dezember in der Charité aufsuchen. Doch als die Polizei dort anrückte, war der prominente Sowjetpolitiker schon abgereist. Im Januar ließ er mitteilen, daß er keine Lust habe, in Moabit auszusagen. Martinus Schmidt