Welche Seele wohnt im Reichstag?

■ Reichstagskolloquium: Umbau soll im Zusammenhang mit städtebaulichen Planungen stehen

Berlin. Kaum mehr als einem Crash- Kurs glich das von Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth inszenierte »Kolloquium über die bauliche Gestaltung und Nutzung des Reichstags«, dessen Ergebnisse im Mai in die Auslobung des Bauwettbewerbs für eben dieses Haus einfließen sollen. Rund 30 Architekten und Stadtplaner, Historiker und Bundestagsabgeordnete paukten sogenannte »Themenblöcke« zur Geschichte, Architektur und städtebaulichen Struktur des Reichstags im Fünf-Minuten-Takt in rund 300 Zuhörer hinein, so daß es fragwürdig erscheint, ob für die Ausschreibung viel Neues hängen bleibt.

Der Reichstag stellt derzeit nicht nur ein finsteres Fossil dar, er erscheint in seiner Neutralität und Unfunktionalität für die parlamentarische Arbeit geradezu ungeeignet. Die Nutzfläche von rund 15.000 Quadratmeter des 1894 von Wallot geplanten Baus reicht heute gerade für die Aufnahme des großen Plenarsaals und ein paar zusätzliche Büros aus. Schon die Unterbringung von vier Fraktionsräumen wird die Architekten beim Umbau vor Schwierigkeiten stellen. Die Erschließung des Hauses führt zu Orientierungsproblemen. Die Größe des derzeitigen Sitzungssaals erinnert mehr an eine Fabrikhalle als an einen maßvollen Raum für Bundestagsdebatten.

Doch Funktionalität spielte bei der Entscheidung des Ältestenrates, den Bundestag in den Reichstag einziehen zu lassen, keine Rolle. So umstritten der Reichstag wegen seiner »pathetischen, anmaßenden Haltung« auch erscheinen mag, wie der Architekt Karljosef Schattner kritisierte, so unstreitig bleibt er — speziell für blindwütige Reichstags-Fans wie Dietmar Kansy, Vorsitzender der Baukommission — das »Symbol der endlich errungenen Einheit des deutschen Volkes«. Den Mauern wohne gar, unabhängig von der Zerstörung durch die Nazis, den Kriegsbeschädigungen und der radikalen Entkernung und Überformung des Baus durch Paul Baumgarten 1960, eine »eigene Geschichte Deutschlands inne«, folgert Helmut Engel, Berlins Landeskonservator. Zwar solle das »dem Volke gewidmete« Haus nicht mit wilhelminischen Stilmaskeraden rekonstruiert werden, die Seele des Reichstags aber, darin war man sich einig, müsse — im Diskurs historischer und moderner Substanz — spürbar bleiben.

Nicht genug ob der Beschwörungsformeln: Der Reichstag soll wieder seine Kuppel zurückerhalten. Statt die Chiffren der Zerstörung der Republik am Gebäude sinnfällig zu belassen, wie der Architekt Günter Behnisch fand, glauben Michael S. Cullen und Gottfried Böhm dem Haus mit einer neuen Pickelhaube zu Leibe rücken zu müssen. Die Wallotsche Konstruktion müsse in ihrer ursprünglichen Dimension in das Stadtbild zurückkehren, damit der Reichstag quasi als Landmarke in der Stadtsilhouette seine herausragende Bedeutung wiedererhalte — eine Meinung, die der Niederländer Pie de Bruin nicht teilte. Er hat in Den Haag einen wunderbaren Parlamentsbau errichtet, durch den das Volk »hindurchgehen« kann. Für de Bruin steht der Umbau des Reichstages in einem direkten Zusammenhang mit den städtebaulichen Planungen für die Regierungsbauten im Spreebogen. Im Unterschied zur heutigen Lage müsse die Gestalt des Reichstags mehr in den Hintergrund der geplanten modernen Parlamentsbauten treten, deren Architekturen sich mit der »autoritären Geste« (Hans Stimmann) des Altbaus geradezu brechen. Zugleich werde es notwendig sein, das Umfeld des Reichstags wieder zu einem »Stadtraum demokratischer Herrschaft« werden zu lassen, sagte Stimmann. Der Koloß dürfe nicht zur Sicherheitszone verkommen. Gefragt sei nicht so sehr ein »Regierungsforum, sondern ein lebendiges Parlamentsquartier mit großzügigen Freiflächen, die ein Anknüpfen an die jüngere Tradition der Feste und Kundgebungen zulassen«. Rolf R. Lautenschläger