Brüchiger Waffenstillstand in Kroatien

■ Angriffe an mehreren Fronten des Landes/ „Helsinki Watch“ wirft kroatischen Streitkräften Hinrichtungen und Folterungen vor/ Die Serben Bosniens beschließen eigene Verfassung

Zagreb/Belgrad (ap/afp/taz) — In Jugoslawien wird der Waffenstillstand, dessen Einhaltung Bedingung für die geplante Entsendung der UNO-Friedenstruppen ist, immer brüchiger. Die jugoslawische Bundesarmee ging nach Angaben des kroatischen Rundfunks am Wochenende an mehreren Frontabschnitten in Kroatien zu offenen Attacken über. Im ostslawonischen Osijek habe die Bundesarmee die kroatischen Verteidigungslinien am Samstag mit Kanonen und Artillerie beschossen, meldete der kroatische Rundfunk. Etwa dreißig Granaten seien auf Dörfer im Hinterland von Zadar gefeuert worden. In Dubrovnik habe die Infanterie den Waffenstillstand während der Nacht zum Sonntag gebrochen.

Das kroatische Parlament hatte am späten Freitag abend einer Entsendung von UN-Friedenstruppen nach Kroatien zugestimmt. In der Abschlußerklärung hieß es wörtlich, das Parlament „der Republik Kroatien unterstützt die Entsendung von internationalen Friedenstruppen in Gebiete, die innerhalb der international anerkannten Grenzen Kroatiens liegen“. Der Präsident des Parlaments der selbsternannten serbischen Republik Krajina, Mile Paspalj, kündigte an, das Parlament werde einen Mißtrauensantrag gegen den Serbenführer Milan Babić stellen. Babić ist der einzige Serbenführer, der sich noch immer vehement gegen den Friedensplan der Vereinten Nationen stemmt. Nach dem UN-Friedensplan sollen 13.000 UNO-Soldaten in drei Regionen — Westslawonien, Ostslawonien und in der Krajina — eingesetzt werden.

Die US-Menschenrechtsgruppe „Helsinki Watch“ beschuldigte die kroatischen Streitkräfte unterdessen des Verstoßes gegen Kriegsgesetze, der Hinrichtungen von Zivilisten und entwaffneten Soldaten sowie der Folterungen von Gefangenen.

Am 23. Januar hatte die Organisation mit Sitz in New York Übergriffe der serbischen Streitkräfte und der Bundesarmee angeprangert. Die kroatische Tageszeitung 'Vecernje List‘ berichtete am Sonntag, daß 140 kroatische Soldaten, die in Westslawonien in Gefangenschaft geraten waren, „in aller Heimlichkeit“ von Belgrad in die Bergwerke von Aleksinac in ein „Konzentrationslager“ gebracht worden seien, wo sie unter „unmenschlichen Bedingungen“ arbeiten müßten. Neue Spannungen zeichnen sich in der Republik Bosnien-Herzegowina ab, wo Moslems (44 Prozent), Serben (31 Prozent) und Kroaten (17 Prozent) zusammenleben und wo für den 29. Februar und den 1. März eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit der Republik angesetzt ist. Während die Partei der Moslems (SDA) für ein souveränes Bosnien-Herzegowina eintritt, in dem die drei Völker gleichberechtigt sind, ist die Partei der Serben (SDS) für eine Abtrennung der mehrheitlich serbisch besiedelten Gebiete. Am Samstag verabschiedete das „Parlament“ der serbischen Minderheit den Entwurf einer Verfassung, in der große Teile Bosniens als „Republik des serbischen Volkes innerhalb Jugoslawiens“ bezeichnet werden. Die Partei der Kroaten (HDZ) ist in dieser Frage offenbar gespalten. Während eine Fraktion die Partei der Moslems unterstützt, befürwortet eine andere eine „Kantonalisierung“ der Republik oder gar den Anschluß der mehrheitlich von Kroaten besiedelten Gebiete an Kroatien.

Eine Aufteilung der Republik nach Kriterien der Volkszugehörigkeit ist insofern schwer, als die ethnische Landkarte einem Flickenteppich gleicht. Es gibt wenig geschlossene Siedlungsgebiete eines Volkes. In kaum einer größeren Stadt gehört eine absolute Mehrheit einer der drei Volksgruppen an. Jeder dritte Einwohner der Republik stammt aus einer ethnisch gemischten Ehe, und zehn Prozent bezeichnen sich als Jugoslawen, wollen sich also ethnisch nicht weiter zuordnen. Die Belgrader Zeitung 'Borba‘ hat errechnet, daß nur über die Umsiedlung von annähernd zwei Millionen Menschen, fast der Hälfte der Einwohner der Republik, ethnisch homogene Gebiete geschaffen werden können. thos