Drei Marxisten auf der Autobahn

■ Das Kabarett »Phrasenmäher« mit neuem Programm im Ku'damm-Hinterhoftheater Magazin

Wer sich Kunst antut, will etwas erleben. Welches Schweinderl hätten'S gern, das vor Ihren Augen geschlachtet wird? Gott ist tot, Karl Marx ist tot, und Erich Mielke ist auch schon ganz schlecht — alles abgeschlossene Fälle in der noch industriellen Gesellschaft auf der Schwelle zu... Ja, wohin denn? Der Verlust an ideellen Werten hat auch vor liebgewonnenen Feindbildern nicht haltgemacht.

Bedeutungslos geworden, trifft sie der Spott des Kabarettisten nicht mehr, sondern bestenfalls der Hohn eines Abteilungsleiters bei der Bundesversicherungsanstalt. Die Rentenzahlungen an Erich Honecker werden ausgesetzt, da Überweisungen ins Ausland nach damals gültigem DDR-Recht nicht möglich sind. Ende der Realsatire. Wieder ein Thema weniger für die aktuelle Bühnenschau einer ambitionierten Kleinkunst-Vereinigung wie den Berliner »Phrasenmähern«. Im wohl einzigen Hinterhof-Theater am Kurfürstendamm, dem Magazin im Kudamm-Karree, bringt das Trio mit Sanfte Exzesse ihr achtes Programm seit 1979 zur Aufführung.

Der Bühnenraum des kleinen Theaters ist schwarz wie der Schmutz zwischen den Zehen von Frank Lüdecke — die Phantasie des Theatergründers sowieso. »Ick gloobe, Sex ist der Motor der Jeschichte«, nölt er im schmutzigweißen Feinripp-Dessous, die Hasenpfote zwischen den Schenkeln. »Hitler hat wenijer Eva Braun jeliebt als vielmehr sein' Hund.« Denn auf die zwischenmenschliche Chemie kommt es an. »Ick saach nur« — sagt er — »Freuds Sublimationstheorie.« Eine Nagelschere, mit der Lüdecke sich die Zehennägel stutzt, komplettiert das Bild des intellektuellen Underdogs, Typ Hirn mit Schnauze. »Ob Nietzsche wohl lustigere Bücher jeschrieben hätt', wenn er öfter mal 'nen flotten Slip anjehabt hätt'?«

Die Nummer tut keinem weh, überzeugt doch sprachlich — im Gegensatz zum Kölner Duo Konejung und Schroth, deren Darstellung eines typischen »Republikaners« im vergangenen Jahr nur traurige Abbildung von Wirklichkeit war. Doch Ablach-Kabarett auf Kosten anderer wollen die »Phrasenmäher« nach eigenen Angaben gerade nicht machen, sondern ins Herz des Publikums treffen. Doch wer ist das eigentlich? Eltern beispielsweise, die versuchen, ihren Sohn — für einen Werbespot von Greenpeace? — zu einem Aufruf gegen den umwelt- und kulturvernichtenden Uranabbau im Reservat nordamerikanischer Hopi- Indianer zu bewegen? Oder der Norddeutsche, der über pietäteinflößende Wirkung eines Blechschilds vorm Kaufhaus Brenninckmeyer nachdenkt, das an »Orte des Schreckens« gemahnt, die wir nie vergessen dürfen?

Wer wie die »Phrasenmäher« als Tournee-Theater spielt, muß die Pfefferbüchse so weit aufspannen, daß der Schrot jeden ein klein wenig gar nicht trifft. »Der Sohn von Pasewalks war bei der 'Jungen Welt‘, damit der Nachbar endlich seinen Schnabel hält — tausend netto«, singen Achim Ballert und Frank Lüdecke zur Melodie des bekannten Presley-Schlagers In the Ghetto. »Und die Mama weint: die Miete, ja man ahnt es schon, tausend netto«. Die Ostberlinerin in der zweiten Reihe findet das gar nicht witzig. Treffer, versenkt.

Hin und wieder bleibt »nur« Klamauk vom Feinsten übrig. In der Trilogie des Widersinns etwa greift sich Quotenfrau Karin Liersch einen Pressegast aus dem Publikum, um ihn zum Spielshow-Gast zu machen: »Bitte, lieber Andreas, stellen Sie einen antarktischen Zwergpinguin dar, der durch einen Brunftschrei das Erreichen seiner Geschlechtsreife markiert.« Oder der Song von den drei Marxisten auf der Autobahn — offenkundig aus den fünf neuen Ländern —, die mit dem Überholen Schwierigkeiten haben.

Bleiben noch die Westler. Für diese Klientel fällt der Gruppe nicht mehr als rohe Gewalt ein. Ging es vor einem Augenblick noch um Behindertenparkplätze, die als Ausdruck der Toleranz leer bleiben müssen, ziehen die drei Schauspieler am Ende der Vorstellung durch den Saal, um ihr Publikum zu beschimpfen. Die Art des Lachens ändert sich. Uns ist das Maul nur mit roher Gewalt zu stopfen. Stefan Gerhard

Sanfte Exzesse mit den Phrasenmähern sind ab heute wieder bis 28. März um 20.30 Uhr im Magazin, Kurfürstendamm 206 (Hinterhof, Eingang durch das Kudamm-Karree) zu erleben.