DER TURBO-JARGON DER EIGENTLICHKEIT Von Mathias Bröckers

Die Fernbedienung läßt einen TV-Programme entdecken, die man ansonsten nicht für Geld und gute Worte einschalten würde — so geriet ich unlängst in das Ratespiel Was bin ich?. Und da hockte, zwischen „Fuchs“ Guido und „Blacky“ Fuchsberger, niemand anderes als Alice Schwarzer. Nun fand ich diese Dame schon vor zehn Jahren derart grauenhaft, daß die Überraschung nicht allzugroß war — nur wenn man sein Entsetzen damals äußerste, brach bei Weiblein und Männlein gleich ein Sturm der Entrüstung los: Der Feminismus war wichtig, notwendig, politisch fortschrittlich und seine breitmäulige Prophetin sakrosankt — wer gegen den Mösen-Ayatollah aufbegehrte, mußte schwerstes Kritikgeschütz bis zur „Schwanz ab!“-Drohung gewärtigen. Und wozu der ganze Femi- Fundamentalismus — damit Frau Schwarzer heute beim heiteren Beruferaten mitplappert. Und keine Feministin, keine wilde Schwester weit und breit, die mit faulen Eiern wirft, um die affige Alice mit der entscheidenden Frage zu konfrontieren: Wo bin ich, was treibe ich hier, wie kann es sein, daß politische Öffentlichkeit derart auf den Hund kommt? Nun mag die Fallhöhe von der Speerspitze der Frauenbewegung zur Schweinderl-Wahl bei Was bin ich? besonders groß sein— einmalig ist sie keineswegs. Ob nun Biermann bei Wetten daß? posiert, Reich-Ranicki Burdas „Bambi“-Preis entgegennimmt oder Walter Jens in allen Gazetten und Kanälen zu jedem Thema von Plato bis Stasi im Turbo- Jargon der Eigentlichkeit trötet, letztlich könnten sie alle gleich bei Was bin ich? Platz nehmen, ohne daß es der Sache der „Aufklärung“, die sie zu betreiben vorgeben, irgendeinen Abbruch täte— promovieren sie doch längst keine Sache mehr, sondern nur noch ihre Person. „Ob ein Mann namens Lersch in einem Versbande seine Familiengeschichte erzählt oder ein namhafter Komödiendichter seine Bemühungen gegen das – Plüschzeitalter – in einem freundlichen Überblicke zusammenfaßt: Wen bewegt es? Das Publikum bleibt überlegen. Der Glaube an die Wichtigkeit des Mitgeteilten ist dahin. Die Probleme werden nicht mehr von einem einzelnen gelöst; jedermann weiß es. Die Duplikate laufen in Mengen herum. Hat man es mit einem Urbild oder einem Doppelgänger zu tun? Wer weiß es noch? Wer aus der turba incondita vermag es noch zu beurteilen? So scheint es, daß dem Künstler nur die Anonymität verbleibt. Daß er es vorzieht, auf private Beziehungen zu seinen Empfängern zu verzichten. Daß er den daher rührenden Qualen vorbeugt, indem er die Übertragung des Interesses von seiner Privatperson auf sein Werk durch ein entschlossenes Harakiri erzwingt“, (Hugo Ball: Der Künstler und die Zeitkrankheit, 1926). Die deutschen Aufklärer von heute — das sind nicht die Künstler und Intellektuellen, die dem Baren, Guten, Schönen zuliebe von Talk- Show zu Talk-Show tingeln, „engagiert“ und „humanistisch“ wichtigwedeln, sich gegenseitig hochseriöse Literaturpreise zuschanzen und als Dichter und Denker abfeiern lassen. Wenn im Namen der Kultur überhaupt jemandem Ehr und Preis gebührt, dann nur der ehrlichen Haut des Entertainers, dem geistigen Tiefstapler, der ohne Anspruch daherkommt und letztlich mehr Erkenntnisgewinn ermöglicht als all diese hochkulturellen TV-Lallbacken. Will sagen: Goethe-Plakette für Didi Hallervorden, Büchner-Preis für Karl Dall, und Harald Juhnke als Präsident der Akademie der Künste!