Der Berufskiller als Architekt

Alan Barons Meisterwerk „Blast of Silence“, Di., 22.45 Uhr, Bayern3  ■ Von Manfred Riepe

Es gibt Filme, nach denen man mit Erleichterung feststellt, daß solch einfache Dinge wie das um die Ecke geparkte Auto unproblematisch funktionieren. Man schließt die Tür auf, dreht den Zündschlüssel herum und braucht sich keinerlei Gedanken zu machen über Keilriemen, Zündung, Reifendruck, Bremsbeläge. Auf derartige Gedankenmonster, die Realität in ein paranoisches Gespinst ineinandergreifender Funktionen zersplittern, kommt man nach dem Film Blast of Silence. Und zwar einfach deswegen, weil wir hier einem Killer bei der Arbeit zusehen.

Wer hier entgegnet, die Arbeit eines Killers bestehe lediglich darin, jemanden zu töten, ist genauso ignorant wie jemand, der sagt, die Arbeit eines Dirigenten beschränke sich auf den Muskelaufwand beim Schwingen des Taktstocks. Die Perspektive, die uns Regisseur Allan Baron in seinem düsteren Schwarz-weiß-Stück vermittelt, ist die eines hochgradig spezialisierten Fachmannes. Es geht nämlich nicht nur darum, jemanden abzuknallen. Das macht ein Amokläufer oder ein Attentäter.

Der Killer hingegen ist ein freiberuflicher Arbeiter (ohne soziales Netz), der vom Töten lebt. Das heißt, er muß mehr als einmal töten. Und das bedeutet, er muß jedesmal mit heiler Haut davonkommen. Dazu ist er gezwungen, ein Höchstmaß an handwerklicher Kreativität aufzubringen. Um sich an das Opfer heranzupirschen, muß er sich chamäleonhaft in der Menge bewegen. Er muß sozialen Kontakt meiden und darf nichts dem Zufall überlassen.

„You could be an architect too“, monologisiert Frank Bono, als er schattenhaft eine Tür passiert, um das Haus des Opfers zwecks Fluchtmöglichkeit zu sondieren. Seine Umwelt zerlegt der Killer im Kopf in atomische Details. Sein im eindringlichen Voice-over stilisierter Monolog ist ihm einzige Kommunikationsform. Dialoge beschränken sich in der Regel auf den kurzen Erhalt von Mordinstruktionen. Menschen sind für ihn analysierbare Größen wie die Lokalitäten, die er zerlegt wie ein gesamtgesellschaftlicher Uhrmacher.

Ist er gut in seinem Job, so überlebt er. Doch dann ist er als Mitwisser eine Gefahr für seine Auftraggeber. Der Killer ist eine tragische Figur! In seiner grenzenlosen Einsamkeit stilisiert der Killer Frank Bono sein Leben als einen aus der Dunkelheit hervorbrechender, sich in einem Pistolenschuß entladender Schrei, der am Ende wieder in die Dunkelheit zurückfällt, die ihn gebar. Dargestellt durch die lange Ausfahrt aus einem Eisenbahntunnel, mit der der Film beginnt. Die Beschränktheit der Mittel (3.000 Dollar kostete der Film 1961) zwang Baron zur elementaren Reduktion aufs Notwendigste. Hauptdarsteller Peter Falk sprang ab, weil er einen bezahlten Job angeboten bekam. Baron selbst sprang ein. Er und sein Kameramann Meril Brody waren streckenweise nur zu zweit unterwegs in New York und photographierten Häuserschatten, die so schwarz sind, daß man den Begriff der schwarzen Serie danach eigentlich neu definieren müßte.

Sechs Jahre später erst drehte Melville mit Alain Delon Der eiskalte Engel, der zu maniriert ist, um die Wucht und die Konsequenz von Blast of Silence zu erreichen. Frank Bono ist kein süßlich leidender Frauentyp, kein stilisierter Held, dem von Anfang an wegen seiner Cleverness die Sympathien gehören. Wenn Frank den fetten Dealer, der ihn linken wollte, mit der Feueraxt zu erschlagen versucht, dann ist das harte Arbeit und sonst nichts. Wenn Frank den Schalldämpfer mit Klebstreifen sichert, dann hat das nichts Verklärtes, ist nur sachdienlich. Am subversivsten ist die Darstellung des Tötungsaktes selbst. Da gibt es nicht dieses versöhnliche Gentlemen Agreement: Tut mit leid, es ist nichts persönliches, nur mein Job. Eklig findet der Killer sein Opfer und gibt der Leiche noch einen Tritt.

In Cannes 1961 warf man Baron vor, Jean Luc Godard (Außer Atem, 1959) kopiert zu haben. Es gibt immer Möglichkeiten, einen unbequemen Film zu ignorieren. 30 Jahre später kann man sich dann rühmen, ein „vergessenes“ Meisterwerk wiederentdeckt zu haben.