Eiserne Elfe und Gummigatte

Ehekrieg der Schauspielstars (II.Teil) in Köln. Günter Krämer inszeniert „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“  ■ Von Gerhard Preußer

Auf Totentanz folgt danse macabre. Verdoppelung, Häufung scheint das Spielplankonzept in Köln zu sein. Erst Strindberg, dann Albee mit derselben Besetzung der Hauptrollen. Zweimal Kampfehe, zweimal Startheater.

Strindberg eröffnete das neue Paradigma: Bühneneheschlacht. Voraussetzung dafür war Gleichberechtigung. Erst sie ermöglicht das Geschlechterduell. Symmetrische Eskalation ist das Konfliktprinzip. Komplementärer Ausgleich schafft nur vorübergehende Waffenstillstände. Albee folgt Strindbergs Muster deutlich genug. So gesehen zeigt die Koppelung der beiden nichts Neues.

Nicht in der Behauptung von Gemeinsamkeit liegt der Gewinn des Doppelprojekts, sondern in der Erkenntnis des Unterschieds. Strindbergs Figuren bemühen sich noch zu erkennen, was sie tun. Daß sie in Haßliebe aneinandergekettet sind, ist für sie eine mühsam errungene Einsicht. Für Albees Figuren ist das alles immer schon klar. Sie spielen, wie der Titel des Stückes, mit der Literatur der Moderne. Sie schrauben die Ebenen der Reflexion immer höher, ohne ihre Kampfstellung dabei aufzugeben. Sie wissen, was sie tun. Sie reden darüber, daß sie wissen, was sie tun. Sie reden über ihren Zynismus, etwas zu tun, von dem sie wissen, daß es böse ist. Sie reden über die Analyse ihres Zynismus. Sie kennen die Paradoxien der Selbstbezüglichkeit von Metakommunikation. Und tun es doch. Albee ist Strindberg plus zynische Vernunft.

So ist die Grundstruktur beider Inszenierungen denn auch gleich: Paare über Kreuz. Was sie unterscheidet, ist das Tempo. Bei Strindberg stellte Günter Krämer genüßlich Bild nach Bild zum Betrachten aus: Bei Albee jagt er den Dialog mit kräftigem Klamauk über die Bühne.

Wieder, wie beim Totentanz, beginnt die Regie mit Verharmlosung. Ein normales desillusioniertes Langzeitehepaar wird präsentiert. Die Fröhlichkeit ist aufgesetzt wie die Plastikmasken, die sie von der Party mitbringen: Martha eine Reagan- Männerfratze, George eine First-Lady-Larve. So grob die (vertauschten) Rollen zunächst verteilt sind, so differenziert wird das Spiel, sobald die Masken fallen. George wird erstmal zum schlappen Schlafanzugschwächling verkleinert, dessen einzig aktiver Stab batteriegetrieben wackelt: eine elektrische Zahnbürste. Martha ist die gewohnheitsmäßig dominante, schadenfrohe Ehefrau mit dem Hang zur Flasche. Im Verlauf des Abends zeigt sich jedoch nicht nur, was in diesen ausgebrannten Eheruinen noch an zündendem Gluthaß schwelt, sondern auch, daß George der Härterte, Rücksichtslosere und Martha die Weichere, Leidensfähigere ist. In dieser kreuzweisen Führung der Figuren ist nicht der Schluß der Höhepunkt, als George in einem verbalen Totschlag ihren gemeinsamen, erfundenen Sohn, das imaginäre verbindende Streitobjekt für ihren Dauerkrieg, sterben läßt, sondern der Schnittpunkt der sich überkreuzenden Charakterlinien: als sich die beiden Kontrahenten in voller Ebenbürtigkeit begegnen.

Diese Mitte des Dramas inszeniert Krämer ohne den Firlefanz und die hektische Häufung von Regieeinfällen, die er vorher für nötig hielt, um das Publikum bei Laune zu halten. Hier ist das Auge des Orkans. Die beiden sitzen sich erschöpft und doch hellwach gegenüber. Ingrid Andrees großes Gesicht auf dem kleinen Körper leuchtet voll Bosheit aus Leiden. Hans-Michael Rehbergs sanfter Wimpernschlag wird Lügen gestraft von einem alerten Körper, den vorher niemand an diesem schleichenden Kopfmenschen wahrgenommen hat. Hier hat sich einer warmgelaufen, während sie sich abzappelte.

Daß die beiden großartige Schauspieler sind, konnten sie natürlich auch im Totentanz schon zeigen. Aber daß sie auch ein Paar sind, zeigt sich erst jetzt. Die Vorarbeit an Strindberg scheint dazu beigetragen zu haben, daß sich hier ein Duo gefunden hat, das Komplementarität und Rivalität ideal verkörpert, das mühelos eingespielte Routine sowohl darstellen als auch praktizieren kann. Im zweiten Teil des Abends erreicht ihr Zusammenspiel jenen Grad an Musikalität, der das Stück abhebt von dem Naturalismus, dem es scheinbar huldigt, und der die Arbeit des Schauspiels als autonome Kunstleistung behauptet.

Die beiden anderen Rollen, Nick, der sportive, tumbe, karrieresüchtige Nachwuchswissenschaftler, und Putzi, seine hysterische Kindfrau, haben anfangs auch Masken im Gesicht: Sie ist Mickey Mouse und er Goofy. Das ändert sich auch dann nicht viel, wenn sie die Masken beiseite legen. Diese Rollen sind Typen, die man nur treffen, kaum aber individualisieren kann. Krämers Besetzung trifft. Im Falle Nicks sogar zu sehr. Den Sportler glaubt man Herbert Knaup schon. (Außer wenn sich die Inszenierung in den Fehlern der miserablen alten Übersetzung von Pikas Braun verheddert: George fragt ihn gemäß der Übersetzung, ob er Rugby gespielt habe, wo im amerikanischen Original natürlich „football“ steht, und Nick antwortet mit dem Wort des Originals, „quarterback“ sei er gewesen, eine Verschlimmbesserung des Übersetzungsfehlers „Verteidiger“. Oder: George behauptet, Faustball zu spielen, was im Original „handball“ ist, dann spielt er pantomimisch Nick einen Ball zu. Dabei macht der angebliche Faustballer einen Volleyballschlag und der angebliche Rugbyspieler behandelt das imaginäre Objekt als Basketball. Oh multikulturelle Sportverwirrung!) Aber den Wissenschaftler Nick muß die Brille beglaubigen. Karina Fallenstein dagegen setzt ihrer Chargenrolle beachtliche Lichter auf. Sie zappelt schlacksig herum, klappt ihre langen Glieder unsicher zusammen und rechtfertigt so Georges penetrante Charakterisierung als „schmalhüftig“. Aber sie ist nicht nur blendend blond und beängstigend flach, sondern sie kann im stummen Spiel auch herzzerreißende Studien geben des Widerspruchs zwischen Alkoholsucht und -ekel, zwischen oberflächlicher Naivität und raffinierter Berechnung.

Auch für Martha und George gibt es in der Aufführungsgeschichte seit 1962 feste Klischees: Sie ist die fulminante Furie, die voluminöse, wollüstige Walküre, er der hinterhältige Heckenschütze, der mickrige Miesmacher. Gefestigt wurden diese Rollenstereotypen noch durch die exemplarische Verfilmung mit Liz Taylor und Richard Burton. Die Leistung des Kölner Protagonistenpaars besteht auch darin, diese Klischees zu durchbrechen. Sie zeigen so nicht nur ihre eigene Vielseitigkeit, sondern auch die Variabalität der Rollen, und darüber hinaus macht ihr Spiel klar: Der Schauspieler reproduziert nicht, sondern schafft neu. Martha, die eiserne Elfe, eine Titania der Cocktail-Parties, und George, der gutmütige Gummigatte, ein Oberon der upper-middle-class, das gab es bisher nicht und war auch nicht denkbar. Nun sieht man: So muß es sein — und kann doch auch anders sein. Erst die Individualität des Schauspielers macht das Allgemeine sichtbar und hebt es wieder auf. Diese Verwirrung, diese Schein- Versöhnung, ist der Reiz der Kunst. Gerade auch der Schauspielkunst.

Edward Albee: Wer hat Angst vor Virgina Woolf? Kölner Schauspiel (Schauspielhaus). Regie: Günter Krämer, Bühne: Gottfried Pilz. Mit Ingrid Andree, Hans-Michael Rehberg, Karina Fallenstein, Herbert Knaup. Weitere Vorstellungen: 22.Februar, 4., 6., 17. und 29.März.