Tektonische Risse gegen das Endlager Gorleben

Die Risse im Gorlebener Salzstock stammen nicht vom künstlichen Gefrierverfahren für den Schachtbau, sondern sind ein natürliches „Netzwerk“ parallel zu den geologischen Schichten/ Geologen widersprechen den Endlagerbauern  ■ Von Jürgen Voges

Hannover (taz) — „Der Salzstock Gorleben ist für mich als Endlager gestorben“, sagt der Kieler Geologe Klaus Duphorn. Es sind sehr fremd anmutende Begriffe, mit denen er sein Urteil über die im Gorlebener Wald gelegenen Schächte begründet, die nach dem Willen Bundes einmal in das bundesdeutsche Endlager für hochradioaktiven Müll führen sollen.

Von dem Unterschied zwischen „Topfrissen“ und „tektonischen Rissen“ spricht der Geologe, der einst als offizieller Gutachter den Salzstock im Landkreis Lüchow-Dannenberg untersucht hat. Denn die Frage über welche Art von Rissen denn nun seit einem Jahr immer wieder Salzlauge in den Gorlebener Schacht Eins einsickert, entscheidet nach Ansicht von Duphorn über die Eignung des Salzstocks zum Endlager, über das gesamte Gorlebener Milliarden-Projekt.

Für die periodischen Laugenzuflüsse von bis zu 30 Litern pro Minute, die im Schacht Eins in einer Tiefe zwischen 270 und 312 Meter aufgetreten sind, präsentiert die „Deutsche Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlager“ seit über einem Jahr immer die gleiche Erklärung. Die Risse sollen allein Folge des Gerfrierverfahrens sein, mit dessen Hilfe der Schacht durch das über dem Salzstock liegende nicht standfeste Gestein niedergebracht wurde. Die Kühlaggregate, die durch an den Salzstock heranreichende Rohre fortwährend Kühlmittel pumpen und so das Erdreich gefrieren, entziehen auch dem Salz Wärme. Dieses kontrahiert und bilde dadurch rings um das Ende des Frostkörpers Risse, die es in der Form eines Topfes durchzögen. Allerdings versuchen die Schachtbauer nun schon seit einem Jahr vergeblich durch immer neue Bohrungen und Betoninjektionen in den Salzstock diese von ihnen diagnostizierten „Topfrisse“ abzudichten.

Eine Runde von prominenten Geologen hat nun am vergangenen Freitag im Umweltministerium in Hannover die Daten und Erkenntnisse begutachtet, die bei diesen Bohrungen gewonnen wurden und dabei ist, folgt man Klaus Duphorn, erstaunliches herausgekommen. Ersteinmal handle es sich nicht um jeweils einzelne Risse, sondern „um ein ganzes Netzwerk von kommuniziernden Röhren“, sagt der Geologe von der Universität Kiel.

Sicher sei außerdem, daß die in den Schacht eingeflosse Lauge nicht aus Einschlüssen im Salzstock stamme, sondern daß die Risse Verbindung nach oben zum darüberliegende Gebirge hätten. Durch Druckmessungen und chemische Untersuchungen der Lauge sei dies nachgewiesen.

Entscheidend ist aber für Duphorn, daß sich die Risse keineswegs topfförmig um das Schachtende herumlagern, sondern fast sämtlich quer zum Schacht in die gleiche Richtung weisen. „Die Risse verlaufen paralell zu den geologischen Schichten“, sagt Klaus Duphorn. Daher handele es sich bei ihnen um bei geologischen Vorgängen enstandene „tektonische Risse“, von denen niemand wisse, wieweit sie nach unten in das Steinsalz hineinreichten. „Entstanden ist diese Störungszone dadurch, daß aus dem Salzstock eine hundert Meter dicke Schicht herausgepreßt worden ist, die hier in Gorleben einfacht fehlt“, sagt der Geologe. Diese Risse hätten sich sicher durch das Abkühlen des Salzstocks noch geweitet. Allerdings solle der Salzstock später einmal durch die Einlagerung des hochradioaktiven Mülls erheblich aufgeheizt werden und dies könne ähnliche Folgen haben. „Nunmehr ist bewiesen“, so faßt Duphorn zusammen, „daß man auch im Steinsalz, in dem weiter tiefer der Atommüll endgelagert werden soll, mit Wasserwegsamkeiten rechnen muß.“

Im niedersächsischen Umweltministerium hat die Geologenrunde vom vergangenen Freitag zu dem Entschluß geführt, die DBE zum endgültigen Klärung der Rißfrage zu bewegen. Die Juristen des Ministeriums prüfen gerade, auf welchen Wege man weitere entsprechende Untersuchungen anordnen kann. Ein in seinem Kern, dem Steinsalz, von tektonischen Rissen durchzogener Salzstock allerdings ist nicht mehr endlagertauglich oder, wie die Bergleute sagen, „eignungshöffig“. Und vor allem weil der Salzstock noch als „eignungshöffig“ galt, hatte das Verwaltunsgericht in Lüneburg den letzten vom Ministerium für Gorleben verhängten Baustopp aufgehoben.