Zwischen Turnhalle und Weißem Haus

■ Mit den heutigen Vorwahlen von New Hampshire ist für die Präsidentschaftsbewerber von Demokraten und Republikaner die erste Stunde der Wahrheit gekommen. Im Angebot stehen ein Präsident, ein Populist ...

Zwischen Turnhalle und Weißem Haus Mit den heutigen Vorwahlen von New Hampshire ist für die Präsidentschaftsbewerber von Demokraten und Republikaner die erste Stunde der Wahrheit gekommen. Im Angebot stehen ein Präsident, ein Populist, ein Brustschwimmer und ein Sonnyboy.

AUS MANCHESTER, NEW HAMPSHIRE, ROLF PAASCH

Dumpf schallt der mächtige Rhythmus der Basstrommel durch die Turnhalle des Daniel-Webster- College in Nashua, New Hampshire. „We will, we will rock you, George!“, gröhlt die versammelte Menge den Song der Rockgruppe Queen — und meint damit den angestrebten Sturz des George Bush. Luftballons im Blau und Rot der republikanischen Partei steigen unter die Hallendecke. Rund 400 fanatische Anhänger des ungeborenen Lebens und Feinde eines starken Staates schwenken ihre blau-weißen Schilder mit dem Namenszug des Herausforderers. Die Scheinwerfer der Kameras suchen den Halleneingang nach dem Verkünder des neuen konservativen Jerusalems ab.

Und dann hält er unter dem frenetischen Beifall der frustrierten republikanischen Rechten seinen Einzug: Pat Buchanan, Redenschreiber Nixons, Mantelträger Reagans und Talkshow-Demagoge kämpft sich zum Podium vor. Die Begeisterung für Buchanan nährt sich aus der Wut über George Bush. „Read my lips“, skandiert die Menge in Anspielung auf den gebrochenen Steuerschwur ihres Präsidenten, „keine zweite Amtszeit!“

„Es rührt sich was in unserem Land“, erklärt der aus dem Nachbarort Merrinack herangereiste Werkzeugmacher Brian Dupont der neugierigen Presse. „Und Pat Buchanan ist unser neuer Prophet.“ Im Gegensatz zu den oft unbekannten Kandidaten der Demokraten hat der Gastgeber der CNN-Show „Crossfire“ in New Hampshire keine Schwierigkeit, sich beim Wählervolk überhaupt bekannt zu machen. „Der war jahrelang in meinem Wohnzimmer und hat dort immer schon meine Ansichten vertreten“, beschreibt Brian die plötzliche politische Popularität des Kandidaten.

Der Populist Buchanan gibt dem versammelten Volk denn auch, was es hören will. Steuererleichterungen und ein Ende der Auslandshilfe. Einwandererkontrolle und den Abbau der verhaßten Bürokratien. Auch den Japanern und Europäern, die ihre subventionierten Computerchips und Airbusse auf den amerikanischen Markt „dumpen“, wird er es im Gegensatz zu George Bush schon zeigen. Und das mit der kostspieligen Verteidigung anderer Leute Freiheit, sei es nun in Germany oder im Nahen Osten, wird unter ihm ebenfalls aufhören. Sollte der 51jährige Pat Buchanan bei der Vorwahl in New Hampshire am Dienstag gegen George Bush mehr als 40 Prozent der republikanischen Stimmen auf sich vereinigen, dann wäre dies wohl eine kleine Sensation. Ein um seine Wiederwahl kämpfender Präsident, der nicht einmal zwei Drittel der eigenen Partei um sich zu scharen vermag, das wäre schon eine peinliche Schlappe für Bush, der im letzten Frühjahr noch 90 Prozent der gesamten Bevölkerung hinter sich wußte.

Doch das war vor der Rezession, die allein in New Hampshire 50.000 Arbeitsplätze vernichtete und Protestkandidaten wie Buchanan für viele plötzlich attraktiv erscheinen läßt. Buchanan steht so für die Opfer des Wirtschaftseinbruchs, die sich in ihren persönlichen Tragödien von George Bush betrogen oder allein gelassen fühlen.

Nur Stunden später und eine Turnhalle weiter findet sich in der „Fairgrounds Junior High School“ ein ganz anderes Publikum ein: die wohlsituierte Mittelklasse, die ihr soziales Eintreten für die Minderheiten nicht ganz vergessen hat, es aber in der anhaltenden Wirtschaftsschwäche auch langsam mit der Angst zu tun bekommt. Ihr Hoffnungsträger ist Bill Clinton, der jugendliche Gouverneur aus Arkansas, der noch vor Wochen unter den fünf demokratischen Präsidentschaftsbewerbern wie der sichere Sieger aussah. Auf dem kleinen Podest inmitten seiner Anhänger wirkt Clinton durchaus überzeugend. Seine Beschreibung der Reagan- und Bush- Jahre als Dekade der Problemverleugnung, des wirtschaftlichen Raubbaus und der sozialen Spaltung kann jeder Demokrat nachvollziehen und dürfte selbst viele der in New Hampshire als „Unabhängige“ registrierten Wähler anziehen. Für die noch Unschlüssigen und die Parteirechten gibt es sein Eintreten für den Golfkrieg und seine Verteidigung der Todesstrafe; die Linken, die in der Vergangenheit für Jesse Jacksons gescheiterte „Rainbow Coalition“ stimmten, müssen sich mit Clintons fortschrittlichen Vorschlägen zur Umweltpolitik und Bildungspolitik trösten.

Wenn Pat Buchanan in seinem Auftreten manchmal an Richard Nixon erinnert, dann bilden Sonnyboy Bill Clinton und seine emanzipiert-attraktive Frau Hillary ein beinahe kennedyeskes Paar. Selbst wenn Clinton in New Hampshire hinter dem Lokalmatador Paul Tsongas nur als zweiter ins demokatische Ziel kommt, hat er bei den im Süden konzentrierten Vorwahlen des „Super Tuesday“ am 10. März die Chance, an die Spitze der demokratischen Präsidentschaftsbewerber zu treten.

Ob dies nach den Anschuldigungen wegen Ehebruchs und der Umgehung des Kriegsdienstes in Vietnam dazu reichen wird, die Zweifel an seinem persönlichen Charakter abzuwehren, ist allerdings fraglich. Denn selbst unter seinen jubelnden Anhängern in der „Fairground High School“ wirkt Clinton wie ein Kandidat, der an seinen gestern noch sicher geglaubten Sieg über die anderen Demokraten und schließlich George Bush selbst nicht mehr so ganz glaubt.

„Four more years“ mit George Bush?

Zwar ebenfalls unsicher, aber in einem ganz anderen und viel beruhigenderen Rahmen zieht derweil auch der Präsident der Vereinigten Staaten auf Stimmenfang durch die Städte und Gemeinden von New Hampshire. Ehe George Bush in seiner langen Motorkavalkade auftaucht, haben die vorauseilenden Truppen des „Secret Service“ alle Unabwägbarkeiten aus dem Wege geräumt, ist die Route mit ausgesuchten, Bushtreuen Statisten gesäumt, sind die Fragen an den Mann aus dem Weißen Haus mit dem dortigen Pressebüro vorsorglich vereinbart worden.

„Ask George Bush“, fragt George Bush, heißt die Veranstaltung in der Volksschule von Hollis, wo die Stuhlreihen mit adrett gekleideten und ordentlichen Konservativen besetzt sind. Es sind kleine Geschäftsleute, die in den modernisierten Farmhäusern dieses ländlichen Bezirks wohnen, oder in die Städte pendelnde Computerexperten, die in den neugebauten „Schlafzimmerkommunen“ ihr Häuschen im Grünen gefunden haben. Die Fragen an George Bush haben sie, um nicht undankbar zu klingen, ihren Kindern aufgetragen. Ob es denn mehr Geld für neue Schulbücher gibt, fragt eine Zehnjährige. Ein Viertklässler will wissen, wie George Bush denn die Umwelt zu retten gedenkt. Und ein ganz süßes Girl erkundigt sich, ob das Präsidentenamt denn mit George Bushs Großvaterpflichten vereinbar sei.

Statt auf republikanische Rebellen oder demokratische Sozialreformer setzen die Bewohner von Hollis erneut auf George Bush als den zwar etwas hölzernen aber dennoch verläßlichen Garanten des Status quo. Wenn zu Beginn dieses Vorwahlkampfs nicht alles täuscht, dann könnte ihr Slogan trotz all der Aufgeregtheiten über konservative und liberale Herausforderer auch am Ende des amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfs stehen: „Four more years“ mit George Bush.