INTERVIEW
: „Mehrheit im Bundesrat ist oft nur theoretisch“

■ Interview mit Peter Struck, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion

taz: Nach der Niederlage im Bundesrat streitet die SPD, ob sie vor das Verfassungsgericht gehen soll. Sie raten ab. Warum?

Peter Struck: Politik wird nur in Ausnahmefällen in Karlsruhe gemacht, sonst hier im Bundestag und im Bundesrat. Ich sehe inhaltlich gar keinen Grund, nach Karlsruhe zu gehen. Das Steuerpaket mußte hier entschieden werden, und es ist eben mit der Mehrheit im Bundesrat entschieden worden.

Welche Konsequenzen sehen Sie statt dessen?

Es gibt verschiedene Aspekte. Ein wichtiger Aspekt ist, daß es der Bundesregierung gelungen ist, Ost gegen West auszuspielen, einfach dadurch, daß man zusätzliche Steuereinnahmen ausschließlich in die neuen Länder leitet und die alten Länder, die ja auch finanzielle Probleme haben, völlig unberücksichtigt läßt. Das ist ein gefährliches Spiel von Herrn Waigel, weil die Spaltung auf diese Weise eher vertieft wird. Der zweite Aspekt, der für die SPD wichtig ist, sollte sein, daß sich solche Vorgänge nicht wiederholen.

Sie meinen das abweichende Verhalten von Brandenburg, von ihrem Parteifreund Stolpe?

Und von Berlin. Es ist schon merkwürdig, wenn das Land Brandenburg neun Tage vorher im Vermittlungsausschuß mit den SPD-regierten Ländern stimmt und dann im Bundesrat, ohne das etwas wirklich Neues von der Bundesregierung gebracht worden ist, anders entscheidet.

Aber war denn für die SPD-Führung nicht absehbar, daß Brandenburg das so nicht durchhalten konnte?

Nein. Das Ärgerliche ist wirklich, daß Brandenburg sich erst am Morgen der Bundesratssitzung entschlossen hat zuzustimmen, und alle anderen überrascht hat. Ärgerlich ist auch die Art der Begründung. Wenn Manfred Stolpe im Bundesrat sagt, diejenigen, die anders stimmen, wüßten nicht, wie es im Osten aussieht, dann verletzt er die anderen Ministerpräsidenten, die SPD als Partei und die Fraktion.

Am Ende stand die SPD tatsächlich da als Vertreterin der West-Interessen gegen die Ost-Interessen.

Unser Antrag im Bundestag sah das gleiche Finanzvolumen für die neuen Länder vor. Aber wir haben ein anderes Finanzierungsmodell vorgelegt, ohne Mehrwertsteuererhöhung, und ein anderes Modell für Kindergeld und Kinderfreibeträge. Unser Vorschlag war sozial gerechter und hätte den Interessen der Menschen im Osten voll genügt. Insofern verstehen wir die Haltung des Landes Brandenburg nicht ganz.

Das Modell hatte nur den Nachteil, daß es nicht durchsetzbar war.

Wenn Brandenburg und Berlin nicht zugestimmt hätten, dann hätte die Bundesregierung erneut den Vermittlungsausschuß anrufen müssen, und es wäre zu neuen Verhandlungen gekommen.

Nach der Entscheidung steht aber fest, daß Waigel am längeren Hebel saß. Hat die SPD die Mittel des Bundesrats überschätzt?

Eine Mehrheit im Bundesrat ist tatsächlich oft nur eine theoretische Mehrheit, weil die Länder verschiedene Interessen haben. Diese Erfahrung hat die CDU übrigens auch machen müssen. Es stimmt: Man kann nicht immer mit übereinstimmenden Länderinteressen arbeiten und taktieren, das zeigt dieses Ergebnis.

Hat Ihre Strategie zum Steuerpaket die Lage der Ost-Länder wirklich hinreichend berücksichtigt, zum Beispiel den schlichten Faktor, daß Brandenburg am Tropf des Bundes und nicht dem der Bundesratsmehrheit hängt?

Ich denke schon, aber es ist uns nicht gelungen, das den Brandenburgern klarzumachen. Das muß ich zur Kenntnis nehmen. Ich habe Verständnis für Manfred Stolpe, wenn er versucht, für sein Land soviel wie möglich rauszuholen. Ich habe aber weniger Verständnis dafür, wenn er den Gesichtspunkt vernachlässigt, daß die alten westlichen Länder auch finanziell in der Lage sein müssen, Solidarität zu leisten. Die jetzige Entwicklung vertieft die Spaltung, statt sie zu überwinden. Das Interview führte

Tissy Bruns