Wenn der mit einem Stoßzahn käme

■ Sollte er mal auffallen, ist schon etwas schiefgegangen: Dr. Rainald Steck, Bremens Protokollchef

Wenn der Goldene Stift fürs Goldene Gästebuch versagt, wenn es Haupt- und Staatsspaziergänge verhagelt und niemand hat Schirme dabei, wenn Hoheiten im Schnoor schon schlappmachen und gähnen, dann hat er was falsch gemacht.

Macht er aber kaum: Dr. Rainald Steck, seit zwei Jahren als Senatsrat der oberste Hüter des hiesigen Protokolls, versichert sich lieber mit langen, minutiösen Checklisten. Die taz sprach mit ihm über die tausend Einzelheiten, die auf dero amtlichen Stehempfängen, Ordensverleihungen oder durchlauchten Banketten dennoch fehlschlagen können.

taz: Würden Sie mal Ihre peinlichste Panne bekennen?

Rainald Steck: Hm. Auf einer Auslandsreise hatte ich mal ein Gastgeschenk, einen alten Stich, im Auto dabei, Roland oder Rathaus; und grad als ich das Bild überreiche, sehe ich: Das Glas ist gesprungen. Da hilft dann nur noch ein Scherz.

Verschenken Sie immer Stiche?

Nein, auch Medaillen, Silberwaren Porzellan. Gerne auch Persönliches. Da fragt man vorher nach. Bevor wir Lech Walesa besuchten, kriegten wir raus: Der ist ein passionierter Angler. Der hat sich über unsere neue Rute sehr gefreut.

Haben Sie selber schon mal was Peinliches gekriegt?

Ich? Nein. Früher kam es vor, daß afrikanische Staatsgäste Elfenbein verschenkten. Heutzutage wäre es natürlich schon ein großes Problem, wenn da einer mit einem Stoßzahn käme.

Ihr Amt ist es, Komplikationen zu erahnen, bevor sie auftreten: Wenn Sie ein Galadiner organisieren, greifen Sie dann beratend in die Krawattenfrage ein?

Natürlich nicht. Das wissen die Leute selber.

Und die Sitzordnung? Setzen Sie die Leute je nach politischer Verträglichkeit?

Eher nach Rang. Hier in Deutschland gilt eine festgelegte Rangfolge, und zwischendrin plazieren wir bei Besuchen dann die Gäste je nach ihrer Position.

So daß der Rang vom Kopfende her abwärts abzählbar ist?

Deshalb nehmen wir lieber runde Tische. Da ist das Placement leichter. Die Gäste sind ja da in der Regel sehr empfindlich.

Hat sich mal einer beklagt?

Hier in Bremen noch nicht. In Bonn, als ich dort im Protokoll war, kam mal einer hinterher.

Der fühlte sich zu niedrig eingruppiert?

Ja.

Sie kümmern sich auch ums Menü. Haben Sie oft heikle Esser?

Sowas kommt vor. In Indien hatten wir mal ein Essen, da kamen Moslems, die kein Schweinefleisch, und Hindus, die kein Rind essen, und zusätzlich konsequente Vegetarier. Da muß einem

„Schrecklich, wenn man einen Orden umzuhängen hat, und dann geht der Verschluß nicht zu!“

schon was einfallen. Das klären wir aber vorher, auch ob jemand eine gewisse Diät halten muß: bei hochrangigen Besuchen kommt ohnehin meist eine Vorausdelegation.

Und wenn dennoch was schiefgeht? Wenn sich einer mitten im Programm schon langweilt?

Dann hilft kein Geschrei und keine Hektik; da muß man umarrangieren, ohne daß es der Gast merkt. Aber natürlich unterlaufen einem auch Peinlichkeiten, die nicht zu verbergen sind. Ich hatte mal einen Orden umzuhängen und kriegte den Verschluß einfach nicht zu. Das ist schrecklich. Fast noch schlimmer ist, wenn man sich im gedruckten Programm mit dem Namen des Gastes vertut, und der kommt dann freudestrahlend an und sagt, daß man ihn mit ai und nicht mit ei schreibt. Alles darf vorkommen, nur das nicht.

Schlafen Sie schlecht vor großen Tagen?

Es kommt vor, daß ich nachts aufwache und nicht weiß, ob wir auch die richtige Nationalhymne haben, ob die Fahne stimmt, ob die Koffer schon ins Hotel dirigiert sind; und manchmal muß ich dann einfach eine Stunde grübeln, ob ich nicht trotz aller Umsicht doch was vergessen habe.

Zum Beispiel Ersatzstrümpfe für die Damen mitzunehmen?

Nein, das ginge zu weit. Da bräuchten wir ja ein Sortiment aller Größen. Aber Nähzeug haben wir unterwegs immer dabei, und Regenschirme: in dem Protokollwagen, der in der Regel vorausfährt.

Wie verfeinern Sie Ihre Methoden? Gibt es Schulungen, Handbücher, Fortbildung?

Nein. Bloß die DDR hatte ein altes Buch zum staatlichen Protokoll. Aber ich war seit '72 im Auswärtigen Amt, davon neun Jahre im Ausland. Türkei, Sudan, Sambia; da häuft sich eine gewisse Erfahrung an.

Nun gibt es ja nicht mehr viele Orte, wo das Protokoll noch als elaborierte Kunst gepflegt wird. Träumen Sie davon, mal einem richtigen Königshaus zu dienen?

Daran hab ich noch gar nie gedacht. Interview: Manfred Dworschak