Nenn einen Polizisten niemals Süßer

■ Schwuler Demonstrant flirtete bei einer Vorkontrolle mit einem Polizeibeamten/ 800 Mark Geldstrafe wegen »Beleidigung«/ Keine Fragen an Polizeibeauftragten für homosexuelle Belange

Berlin. »Schwule haben auf die Gebräuche der Heterosexuellen Rücksicht zu nehmen.« Diese Belehrung gab das Arbeitsgericht Moabit letzte Woche dem Arbeitslosen Thorsten Mai mit auf den Weg, nachdem es ihn zuvor wegen »Beleidigung« und »Widerstand« zu einer Geldstrafe von 800 Mark verknackt hatte. Dem schwulen Angeklagten wurde zur Last gelegt, einen Polizeibeamten »Süßer« genannt zu haben.

Zu dieser »schweren Ehrverletzung« (Amtsrichterin Müller) war es im Vorfeld der Lesben- und Schwulendemo gegen den »Fascho-Terror« am 7. Juni 1991, kurz nach dem Überfall auf Charlotte von Mahlsdorfs Gründerzeithaus gekommen. Auf dem Bürgersteig an der Warschauer Straße führte die Polizei Vorkontrollen durch. Doch in die Überprüfung gerieten nicht Skinheads, sondern »szeneangehörig wirkende« Demonstranten wie Thorsten Mai.

Gegen die Leibesvisitation hatte der Angeklagte nichts einzuwenden. Im Gegenteil: Da der eingesetzte Polizeibeamte Olaf Heck »recht gut aussah«, schlug er vor: »Wenn du mich abtastest, darf ich doch auch mal, Süßer?« Doch der Schutzmann wies Thorstens zärtlich ausgestreckte Hände zurück. Offenkundig bevorzugte er die harte Welle: Blitzschnell legte er dem Schwulen Handschellen an und führte ihn in die bereitgestellte »Wanne«.

Die Amtsanwaltschaft sah in Thorstens Schabernack die Straftatbestände der Beleidigung, Körperverletzung und des Widerstands erfüllt. Laut Festnahmeprotokoll habe er nicht nur anzubändeln versucht, sondern Heck auch »an die Männlichkeit greifen wollen« sowie sich mit Tritten gewehrt. Thorsten Mai bestritt dies ebenso wie zwei Zeuginnen, doch für das Urteil blieb das unerheblich. Hauptvorwurf blieb das Kosewort: »Wenn mich ein Mann ‘Süßer‚ nennt, finde ich das eklig«, brachte es der Zeuge und Beamtenkollege Michael Santack auf den Punkt.

»Hier ist Satire nicht verstanden worden«, beharrte dagegen Thorstens Rechtsanwältin Susanne Wilkening. Die eingesetzten Polizisten hätten sich »in ihrem männlichen Stolz verletzt« gefühlt und auf den Spaß »überreagiert«. Daß die Beamten für den Schutz einer Homo- Demo damit ungeeignet gewesen seien, dürfe man Thorsten nicht anlasten.

Doch Wilkenings Beweisantrag, hierzu den Polizeibeauftragten für homosexuelle Belange Heinz Uth zu fragen, lehnte Amtsrichterin Müller ab. Ihrer Meinung nach hätte sich der schwule Demonstrant anstandslos der Kontrolle unterziehen und bei seinem »mißlungenen Späßchen« auf Vorurteile der Polizisten achten müssen.

Das letzte (Kose-)Wort ist in diesem Prozeß damit noch nicht gesprochen. Thorsten Mai will gegen das Urteil Berufung einlegen. Micha Schulze