Zweckbündnis auf Zeit

■ Die Basis der Großen Koalition ist dünn geworden

Manch einer wird bei der Betrachtung der Koalitionskrise ein Déjà-vu-Erlebnis gehabt haben, glich doch ihr Ablauf den aus rot-grünen Regierungszeiten hinlänglich bekannten Konfliktmustern. Nur, daß die Sozialdemokraten diesmal in der Rolle derjenigen steckten, die die »Kröte« schlucken mußten. Und die wurde Momper gar mit den gleichen Argumenten präsentiert, mit der er sie seinerzeit seinem kleineren Regierungspartner servierte. Diepgen hat mit seinem forschen Vorgehen im Bundesrat sein ramponiertes Ansehen in der eigenen Partei geliftet — doch um welchen Preis? Mit dem Bruch des Koalitionsabkommens wurde eine gemeinsame Arbeitsgrundlage verlassen. Seit dem Wochenende hält das Regierungsbündnis nicht mehr die Gemeinsamkeit, sondern die mangelnde Alternative zusammen. Für beide Seiten ist in dem Konflikt klargeworden, das die Große Koalition politisch nicht mehr die einzig denkbare Regierungskonstellation ist, als die sie immer gehandelt wurde. SPD und CDU zusammen haben die Probleme der vereinigten Stadt bislang nicht besser bewältigt, als es nicht jede andere Parteienkonstellation auch bewerkstelligt hätte. Eine Alternative zur Großen Koalition ist für die CDU zweifelsohne greifbarer als für die SPD, da die Sozialdemokraten bislang eine Aufarbeitung ihrer rot-grünen Vergangenheit vermieden haben. Aufgrund ihrer Schwächeposition wird die SPD, auch bei zukünftigen Konflikten mit der CDU, ins Hintertreffen geraten. Wie lange unter diesen Bedingungen das Regierungsbündnis noch hält, hängt zunehmend von den Personen an der Spitze ab, denn die zentrifugalen Kräfte in Fraktion und Partei werden eher stärker werden. Die Große Koalition ist nur noch ein Zweckbündnis auf Zeit, und die läuft unter Umständen früher ab, als es die Verfassung vorgesehen hat. Dieter Rulff

Siehe auch Seite 26