SOMNAMBOULEVARD — BARE DUKATEN Von Micky Remann

Warum in die Zukunft schauen, wenn sie schon da ist? Die Verknäuelung von Psyche und Materie, Zeit und Traum bedingt, daß ich inzwischen schon wieder träumen kann, Marxens Kapital zu lesen, ohne an frühkindlichen Masturbationsverboten zu scheitern.

Konkret bin ich in einer Kneipe und spiele am Geldautomaten. Dann geschieht, wovon viele nur träumen: Ich schaffe die große Gewinnserie! Auf allen Fenstern dasselbe Symbol— ein goldener Pilz —, und in der Mulde klappern die Dukaten ohne Ende. Das allein ist es noch nicht, was diese Meldung rechtfertigt, denn zusätzlich rieselt ein Wohlgefühl durch den oberen Bauchbereich, das geradezu metaorgiastische Ausmaße annimmt. Wonne im Quadrat, innere Seligkeit, Reichtum und Gewinn — zwingender kann der Traum vom Glück wirklich nicht ausfallen, denke ich im Traum, habe dabei aber vor Freude vergessen, daß ich träume, und werde mir dieser Tatsache erst wieder bewußt, als ich, zwar nicht ganz, aber doch genug aufwache, um zu merken, daß ich träume. Das Bauchseligkeitsgefühl hält dieser Erkenntnis stand, aber meine Dukaten sind alle futsch. Scheiße. Während ich noch über die Vergänglichkeit des Reichtums sinne, döse ich in eine andere Seitengasse des Somnambouldevards hinein, stadtauswärts zu, mit Blick auf die große Festung, die gerade mal wieder belagert wird, und zwar von uns. Die Bewohner haben sich aber schlau verschanzt, und wir Angreifer sind ratlos über die einzuschlagende Strategie. Da fallen mir die Kieselsteine auf dem Boden auf, ich nehme sie zur Hand, und werfe sie — klack, peng, zock — gegen die Festungsmauern, meinen Mitbelagerern ein mutiges Beispiel geben wollend. Tatsächlich tun sie es mir nach, und wir ballern die feindlichen Mauern ruck zuck mit Massen von Kieseln voll. Erst sehr spät im Krieg geht mir auf, daß jene Kullerkiesel meine Dukaten aus dem Spielautomat sind. Verdammt! Und o weh, denn mit jedem Wurf in Richtung Feind machen wir diesen reicher, steinreich sozusagen, und uns immer ärmer. Daß die Gegner das wissen, wird mir langsam klar, denn ich träume es ja selbst, und das ist das einzige, was mir die an sich bittere Einsicht in den Kreislauf des Geldes versüßt. Auch auf dem Somnamboulevard herrscht nämlich Finanzhoheit, und unsere Fiskalbonzen sind massiv damit beschäftigt, unsere Traumwahrung auch für den Wachzustand konvertibel zu machen. Zum einen wollen wir damit Pleiten wie die obige vermeiden, zum anderen möchten wir unsere Somnambul- Dukaten dem Ecu-Verband angegliedert wissen.

Wir stehen schon knapp vor einer durchbrechenden Lösung dieses Problems — lediglich Feinabstimmungen bei der Devisenverrechnung von im Traum eingelösten Euroschecks sind noch vorzunehmen — da platzt eine Nachbarin aus dem vierten Stock in die Sitzung und fragt, ob irgend jemand eine Kreditkarte habe? „Nein“, antworte ich verärgert, „und ich werde mich auch hüten, von einer zu träumen.“