Ohne Schwarzgeld keine Wirtschaft

Vom Schnapsschmuggel zur Bankrottserie — Polens Wirtschaftsmisere ist Grund und Folge der blühenden Korruption und Affärenwirtschaft/ Spielhöllen, Autoklau, Rauschgifttransit und Geldwäscherei — nur die Behörden wissen von nichts  ■ Aus Warschau Klaus Bachmann

Janina C. (Name geändert), Warschauer Staatsanwältin, war untröstlich: Rigobert Taubert, seines Zeichens zweiter Boß der nordrheinischen Spielcasino-Mafia und in Deutschland und Polen mit Haftbefehl gesucht, war ihr gewissermaßen vor der Nase entwichen, nachdem er in Warschau eine Villa, ein halbes Dutzend verdächtiger Spielhöllen und eine Leiche zurückgelassen hatte. Janina C. hatte ihn nicht festnehmen können, weil zur Festnahme eines Ausländers ein Dolmetscher notwendig ist, und den hatte die Polizei nicht auftreiben können, weil ihr das Fahrzeug dazu fehlte.

Schneller als die Polizei? Kein Kunststück

Warum Taubert in Deutschland gesucht wird, wußte sie gar nicht, sie spricht keine Fremdsprachen, und um sich mit der Kripo in Essen in Verbindung zu setzen, fehlt ihr das Faxgerät. Taubert wurde bis heute nicht gefaßt, seine Kasinos wurden zwar vor einigen Wochen geschlossen — die Restaurants darin dürfen jedoch weiter betrieben werden. Bei der Flut von Wirtschaftsverbrechen, die zur Zeit über Polen hereinbrechen, sind die Behörden meistens ratlos, manchmal allerdings sogar behilflich. Taubert erfreute sich der Unterstützung bis in Regierungskreise; Polens jüngste und vermutlich größte Affäre wurde sogar von Beamten selbst inszeniert.

Ein Loch ist in Polens Kasse...

Der Chef des staatlichen Schuldenfonds und seine Stellvertreterin sollen, so meinen Staatsschutz und Staatsanwaltschaft, statt Schulden bezahlt, in ganz Europa in dubiose Firmen Geld gepumpt und dieses dann wieder auf die Seite gebracht haben. Worauf in Frankreich, Belgien, den USA und der Schweiz zahlreiche Firmen über Nacht in Konkurs gingen und in Polens Staatskasse nunmehr ein dreistelliger Millionenbetrag in Dollar fehlt.

Was die Ministerialbeamten, die bisher hinter Schloß und Riegel sitzen, im großen vorexerzierten, machen Polens kleinere Finanzhaie fast täglich nach. Noch weiß niemand in Polen, daß eine Serie von Konkursen, die in Posen bereits drei Staatsbetriebe und zahlreiche Private in den Abgrund gezogen hat, das Werk einer Firmengruppe ist, die ganz Polen mit miteinander vernetzten und verschachtelten Holdings überzogen hat. Die Konkurse kamen alle auf ähnliche Weise zustande: Überschuldung bei gleichzeitigem rapidem Vermögensschwund, wobei das Vermögen bei den bisherigen Firmenchefs oder deren Firmen verschwand. Eine Praxis, die in Polen nicht strafbar zu sein scheint — ermittelt wird jedenfalls nicht.

Die wuchernde Kriminalität schadet nicht nur Polens Image im Ausland, sie schädigt auch den Staatshaushalt schwer. Über einhundert Millionen Dollar gingen ihm durch die Lappen, als 1989 und 1990 Tausende von Kleinimporteuren das staatliche Alkoholmonopol umgingen und Megatonnen von Billigschnaps über die Grenze schafften. Ähnliches folgte — angeheizt von entsprechenden Verordnungen der zuständigen Ministerien — bei Benzin und Tabak.

Wie schon die Alten sungen, so zwitschern auch die Jungen...

Hinzu kommt ein regelrechter Gründungsboom bei kleinen Kapitalgesellschaften. Der entstand 1989, getragen von den früheren KP-Fabrikdirektoren, die so ihr Schäfchen aufs Trockene brachten: Der Direktor gründet mit dem ihm unterstellten Betrieb ein Joint-venture, auf dessen Basis der Staatsbetrieb dann regelrecht ausgesaugt wird. Ist er dann am Ende, wird er für billiges Geld dem Staat abgekauft und mit dem auf die Seite gebrachten Geld wieder aufgepäppelt. Diese Praktiken haben die Privatisierung bei der Bevölkerung in Verruf gebracht. Viele jener Gelder, die bei solchen Praktiken abkassiert wurden, sind inzwischen wieder in saubere, unangreifbare Geschäfte, in Banken, Versicherungen und Anteile an normale Firmen reinvestiert.

Will man kein Erdbeben in der gesamten Wirtschaft auslösen, muß man von einer Generalabrechnung Abstand nehmen. Hinzu kommt, daß auch die juristische Grenze zwischen legal und illegal sehr diffus ist — manch ein Gesetz erlaubt, was ein anderes verbietet. Auf die Mitwirkung der Bevölkerung können die Behörden kaum zählen, besonders wenn es um Vergehen geht, die nur den Staat schädigen. Der ist für die meisten immer noch ein fremdes Wesen, dem man mißtraut. Hätte Rigobert Taubert nicht einen Geschäftspartner krankenhausreif geprügelt — Janina C. wüßte vermutlich bis heute nichts von seinen sonstigen Untaten.