Unter Menschen

■ betr.: "Noch immer mit Kriminellen in einem Topf", taz vom 15.2.92

betr.: „Noch immer mit Kriminellen in einem Topf“,

taz vom 15.2.92

Dieser Artikel entspricht der Tendenz und ebenso in den Worten haargenau den Berichten und Publikationen, wie sie die Internationale Vereinigung für Menschenrechte Frankfurt, die Vereinigung der Opfer des Stalinismus und andere seit 40 Jahren publizieren. Endlich hat die taz zur rechten Sozialdemokratie und auch zu Dregger gefunden, und sie kann sich dazu nach dem Zusammenbruch des „realen Sozialismus“ nun auch bekennen...

Aber dies nur nebenbei: In der Hauptsache bedient der Artikel klassische Vorurteile der (spieß)bürgerlichen Gesellschaft, daß nämlich politische Gefangene (was immer dies für eine Kategorie auch sei) bessere, anständigere Menschen seien als „Kriminelle“ oder gar Mörder.

Ich jedenfalls habe außerhalb des Gefängnisses, in meiner stinknormalen Alltags- und Lebensumwelt, ständig mit „Kriminellen“ zu tun, nämlich mit all denen, die nicht erwischt worden sind und/oder von denen ich/wir gar nicht wissen, daß sie auch Betrüger, Diebe und Schläger sind. Ich lebe sehr wohl mit ihnen zusammen, im weitesten und engeren Sinn. Aber dies auch nur nebenbei — vielleicht leben taz-Reporter auch schon in einer anderen, besseren Welt.

Ich spreche mich dagegen aus, daß in diesem Artikel Straftätern und ganz besonders solchen, die das fürchterlichste Verbrechen begangen haben, nämlich einen anderen Menschen umgebracht zu haben, ihr eigenes Menschsein suggestiv abgesprochen wird. Sind nach den vielen Wenden seit 1989 die „linken“ Gehirne ganz verkleistert, ist alles vergessen, was zu lernen war über Gesellschaft, Strafe und Gefängnissystem angesichts der plötzlich entdeckten Verbrechen in den sich seinerzeit selbst „sozialistisch“ nennenden Gesellschaften?

Ich war selbst 1972 im Frauenzuchthaus Hoheneck als „politische Gefangene“. Es war (mindestens bis 1989 und vielleicht noch heute) ein grauenvolles Gefängnis. Trotzdem war ich in der Zelle unter Menschen. Konflikte unter Gefangenen können einen barbarischen Verlauf nehmen, trotzdem sind sie menschlich. Ich habe dort ganz unterschiedliche Frauen (auch „Mörderinnen“) kennengelernt. Auch „politische Gefangene“ können sich dämlich benehmen, wenn sie ihren spießigen Dünkel in der etablierten Hierarchie des gesellschaftlichen und ebenso des „Gefängnissystems“ die angeblich unter ihnen stehenden Mitgefangenen spüren lassen. Und diese, die wirklichen gesellschaftlichen Underdogs haben ein sehr ausgeprägtes und intensives Sensorium für unwürdige, herablassende Behandlung, weil dies eine Grunddisposition ihrer Existenz ist. Erstens besteht dafür kein realer Grund, zweitens können die Repressionsmechanismen unter Gefangenen barbarisch sein — keine Frage.

Dies kann aber erstens nicht den Schluß rechtfertigen, daß „politische Gefangene“ die „besseren“ und darauffolgenden Mörder per se eigentlich keine Menschen seien. Gerade bei ihnen steht das eigene „Mensch- sein-Wollen“ auf dem Prüfstand.

Also: Mein Einspruch richtet sich gegen einseitige und dumme Berichterstattung. Natürlich finde ich es richtig, daß endlich auch die taz über Fälle wie den der Familie Schlicke berichtet. Ihnen wünsche ich ausdauernde Energie, damit vielleicht die strukturell gesellschaftlich organisierte Repression ans Licht kommt und dafür Verantwortliche eben nicht mehr weiter Lehrer, Rektor oder Gefängnisdirektor bleiben. Mechthild Günther,

West-Berlin