GASTKOMMENTAR
: Trauer und Respekt

■ Akteneinsicht fortsetzen, Lüge und Gewalt beenden

Wir sind in einer entscheidenden Situation. Die hohen Generäle sitzen in ihren Wohnstuben, gut plaziert auch im ersten Programm, und zeigen uns ihre Gesichter, sagen ihre Sätze und fordern in einem Brief an die Ministerpräsidenten, es solle Schluß sein mit der Akteneinsicht, die gerade erst begonnen hat. Soeben fand ich in meinem ZOV „Opponent“ ein Gutachten der HVA, persönlich mit blauer Tinte unterzeichnet von Markus Wolf: Fuchs organisiert eine „Pseudofriedensbewegung“, unterstützt „konterrevolutionäre Kräfte in Polen und der CSSR“, ist „wahrscheinlich geheimdienstlich gesteuert“. Folge, zwei Tage später: Haftbefehl, Ermittlungsverfahren, Fahndungsauftrag, unterzeichnet von Mielke. Dies geschah im Jahre 1982, fünf Jahre nach meiner Ausbürgerung, politische Haft ging voraus. Markus Wolf behauptet bis heute, als stellvertretender Minister nichts mit Mielkes Dreckarbeit zu tun gehabt zu haben.

Ein Bundestagsabgeordneter der PDS, Professor Gerhard Riege, wählt den Freitod. Der Tod eines Menschen fordert Trauer und Respekt. Parteipolitisches Instrumentalisieren und Aufrechnung ist entschieden zurückzuweisen. Gregor Gysi koppelt öffentlich diese Tragödie mit der angeblichen Atmosphäre im Land, der Hetze gegen die Ex- DDR. Der ehemalige Lehrstuhlinhaber der Sektion Staats- und Rechtswissenschaften an der Friedrich-Schiller-Universität Jena verschwieg seine IM-Tätigkeit. Sie lag, so Gysi, über 30 Jahre zurück, er habe niemandem geschadet. Im ZOV „Weinberg“ findet sich 1987 der MfS-Hinweis, daß Professor Riege von der HVA II-201 erfaßt war. Die HA XX/5 fügt am 12.10.1987 hinzu: „Seitens der KD Jena, Referat Hochschulen, besteht offizieller Kontakt zu Prof. Riege.“ Unterschrift: „Gutte, Oltn.“

Wer ist schuld? Die Bürgerrechtler? Die perfiden Stasi-Akten und ihre Daten über die Taten der verbrecherischen Generäle und Minister? Biographien wurden verbogen und zerbrochen. Die einen gingen ins Gefängnis, die anderen in eine Karriere mit viel Heimlichkeit und Lüge. Ich fordere Respekt, Wahrheit und das Ende der Heuchelei, besonders von denen, die den Tod eines Menschen benutzen, um uns, die Opfer von Zersetzungs- und Liquidierungsplänen, erneut zu „outen“. Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar. Nur in einer Atmosphäre wenigstens minimaler Ehrlichkeit ist Milde, Verzeihen und ein Aufatmen möglich, das wir alle bitter nötig haben nach den Jahren von Druck und Terror. Jürgen Fuchs

Der Autor lebt als Schriftsteller in Berlin.