Zwangsmutterschaft nach Vergewaltigung

Irisches Gericht untersagt 14jährigem Opfer die Abtreibung/ Das Mädchen ist selbstmordgefährdet  ■ Aus Dublin Ralf Sotscheck

Ein irisches Gericht hat am Montag abend die einstweilige Verfügung bestätigt, mit dem einem 14jährigen Vergewaltigungsopfer die Abtreibung in England untersagt wurde. Damit ist das Alptraum-Szenario eingetreten, das Frauengruppen 1983 nach dem Referendum über das Abtreibungsverbot vorausgesagt haben. Laut Verfassung schützt der irische Staat durch seine Gesetze das Leben des ungeborenen Kindes. Diese Folgegesetze sind jedoch nie verabschiedet worden.

Der Prozeß gegen die 14jährige war deshalb ein Präzedenzfall. Das Mädchen war seit zwei Jahren vom Vater ihrer Freundin sexuell mißbraucht und Mitte Dezember vergangenen Jahres vergewaltigt worden. Erst im Januar bemerkten die Eltern, daß sich ihre Tochter immer mehr in sich zurückzog, und brachten sie zum Arzt. Der stellte eine Schwangerschaft fest.

Die Familie reiste daraufhin nach England zur Abtreibung. Zuvor hatten sich die Eltern bei der Polizei erkundigt, ob eine gentechnische Untersuchung des Fötus als Beweismittel gegen den Vergewaltiger vom Gericht anerkannt würde. Diese Nachfrage löste das Eingreifen der Staatsanwaltschaft aus. Doch wurde nicht etwa der Vergewaltiger verhaftet, sondern der 14jährigen wurde per einstweiliger Verfügung die Abtreibung untersagt. Die Familie kehrte unverrichteter Dinge aus England zurück, und der Staatsanwalt ordnete die Überwachung der Häfen und Flughäfen an, um eine erneute Ausreise zu verhindern.

In Gutachten, die dem Gericht vorlagen, wurde auf die akute Selbstmordgefahr hingewiesen. Eine Psychologin, die das Mädchen untersucht hatte, sagte zur taz, sie sei in ihrer langjährigen Praxis noch nie einem schlimmeren Fall von Vergewaltigungstrauma begegnet. Auch Richter Declan Costello sagte am Montag, daß das Mädchen vergewaltigt worden sei. Zugleich stellte der Richter fest, daß die Gefahr für das Leben des Mädchens durch einen Selbstmord „geringer“ sei, als „die Sicherheit, mit der das Leben des Ungeborenen durch die Abtreibung beendet“ wäre. Costello gab zu, daß er sich mit seinem Urteil über die im EG-Recht garantierte Reisefreiheit hinwegsetze. Die Eltern haben gestern gegen das Urteil Berufung eingelegt, versicherten jedoch gleichzeitig, daß sie sich an die Entscheidung des Gerichts halten werden.

Der Maulkorberlaß, mit dem der Generalstaatsanwalt der Öffentlichkeit sowie irischen und ausländischen Medien die Diskussion des Falles untersagt hat, gilt weiterhin. Doch in Irland hält sich niemand daran. Am Montag demonstrierten knapp tausend Menschen vor dem Parlament in Dublin. Eine Gruppe von Schauspielern, die sich als Polizisten und Ärzte verkleidet hatten, bauten an der Straße zum Flughafen eine „Kontrollstelle der irischen Schwangerschaftspolizei“ auf und verlangten von Passantinnen Urinproben. Frauenorganisationen organisierten gestern vor der irischen Botschaft in London eine Mahnwache.

Das Urteil hat weitreichende Konsequenzen. Alan Dukes von der Oppositionspartei „Fine Gael“ sagte: „Jetzt ist klar, daß die Verfassung die Einrichtung einer Moralpolizei an unseren Grenzen erlaubt.“ Damit stehe Irland auf einer Stufe mit den „bigotten religiösen Regimes fundamentalistischer Prägung“. In einer Erklärung des Rats für Bürgerrechte hieß es: „Die irische Verfassung reduziert den Wert eines 14jährigen Vergewaltigungsopfers auf ein befruchtetes Ei.“ Tony O'Brien von der Irischen Familienplanungsorganisation sagte: „Der Staat sorgt sich offenbar mehr um den Schutz der Zeugungsrechte eines Vergewaltigers als um das Leben des Opfers. Das kommt einem Freibrief für Vergewaltiger gleich.“

Phyllis Bowman von der „Gesellschaft zum Schutz ungeborener Kinder (SPUC)“ beschuldigte die Abtreibungsbefürworter, die 14jährige als Kanonenfutter zu mißbrauchen, um eine Verfassungsänderung durchzusetzen. „Indem sie das Kind behält, macht sie aus einer schlechten Tat etwas Gutes“, behauptete Bowman. Eine Demonstrantin sagte dagegen am Montag: „Wenn man diesem entsetzlichen Urteil überhaupt eine positive Seite abgewinnen kann, dann ist es die Tatsache, daß das konstitutionelle Abtreibungsverbot jetzt öffentlich diskutiert wird.“

Abgeordnete der linken Parteien forderten gestern ein erneutes Referendum. Gesundheitsminister John O'Connell, der erst seit einer Woche im Amt ist, plädierte dafür, den Einfluß der katholischen Kirche zurückzudrängen und Verhütungsmittel leichter zugänglich zu machen. Wegen dieser „krassen Worte“ wurde ihm von Parteifreunden vorgeworfen, „Sprecher einer Minderheit“ zu sein, die „den Katholizismus nicht praktiziert“. Es wird noch lange, bittere Debatten erfordern, bis Kirche und Staat in Irland getrennt sind.