Aktienlotto mit einem Wochenlohn

Die Kupon-Privatisierung macht aus Tschechen und Slowaken ein Volk von Kleinaktionären  ■ Aus Prag Sabine Herre

„Tutovka“, so heißt in der Tschechoslowakei eine beliebte Lotterie. „Tutovka“ bedeutet auf tschechisch jedoch auch ein totsicherer Tip. Ob die Privatisierung der Staatsbetriebe zu einem gewinnbringenden Tip oder aber zu einem Lotteriespiel für die Bürger der CSFR werden wird, das wird sich bald herausstellen. Am Montag fiel in Prag der Startschuß zu der „Kupon-Privatisierung“.

Die von Finanzminister Vaclav Klaus entwickelte Privatisierungsmethode läßt sich auf einen einfachen Nenner bringen: Das Volkseigentum wird dem Volk geschenkt; die Aktien der bisherigen Staatsbetriebe können die Bürger über sogenannte Kupons erwerben. Um diese Kupons zu erhalten, müssen sie 1.035 Kronen (rund 60 Mark) investieren — eine Summe, die der Staat zur Deckung der entstehenden Verwaltungs- und Werbekosten verwendet.

Mit der Kupon-Privatisierung will Vaclav Klaus zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Zum einen verfügt die Bevölkerung nicht über die finanziellen Mittel, um die Staatsfirmen aufzukaufen. Zum anderen können durch das Interesse der Bürger erste Informationen über den bisher weitgehend unbekannten Marktwert der Betriebe gesammelt werden. Vor allem letzteres wird von Ökonomen als ein bedeutender wirtschaftstheoretischer Beitrag gewertet. Die Aktien werden nicht einfach verteilt; jeder kann selbst entscheiden, ob es sinnvoller ist, Anteile an der Porzellanfabrik in Karlsbad oder an den Skodawerke in Pilsen zu kaufen.

Doch genau an dieser Stelle wird die Kupon-Privatisierung zum Lotteriespiel: Um zu entscheiden, welcher Betrieb eine höhere Dividende verspricht, müssen Informationen über dessen wirtschaftliche Situation bekannt sein. Über diese Daten, so die Kritiker des Privatisierungsmodells, verfügten jedoch nur der Staatsapparat und die Unternehmensleitungen. Die Kupon-Privatisierung sei somit allein für die noch immer nicht abgelösten kommunistischen Funktionäre in Verwaltung und Wirtschaft ein totsicherer Tip, glauben viele Brüger.

Ebenfalls zwiespältig werden die überall auftretenden Investitionsfonds beobachtet. Rund 360 solcher Fonds sind bislang registriert. Die Volksaktionäre erhalten dort für ihre Kupons einen Anteilschein des Fonds, der sich dann für seine Kunden an der Privatisierung beteiligt. Doch niemand weiß, ob die Verheißungen der Fonds sich einlösen werden; da die Anlagefonds und deren finanzielle Quellen meist undurchsichtig sind, wissen die Bürger auch hier nicht, wem sie trauen können.

Um eben dieses Vertrauen zu gewinnen, überziehen die Fonds seit Beginn des Jahres das Land mit teilweise aggressiven Werbekampagnen. Zum bestimmenden Gesprächsthema wurde dabei das von einem tschechischen Harvardabsolventen gegründete Beratungsunternehmen Harvard Capital and Consulting. Dieser Fonds bot den Anlegern Handfestes: Innerhalb eines Jahres, warb Harvard, würde jeder, der seine Aktien an Harvard verkaufe, für den Einsatz von 1.035 mindestens 10.350 Kronen erhalten. Der Erfolg dieses Angebotes ließ nicht lange auf sich warten: Hatten sich bis zu Beginn der Werbekampagne gerade 400.000 Teilnehmer der Privatisierung registrieren lassen, so wuchs ihre Zahl bis Ende Januar auf 8,3 Millionen; mindestens 300.000 davon wollen ihre Kupons Harvard überlassen.

Diese unerwartete Entwicklung erforderte das Eingreifen der Regierung. Da die Fonds nicht die Rolle und Macht der staatlichen Planungskommission übernehmen sollten, wurde deren Aktienanteil an einem Betrieb auf 20 Prozent begrenzt. Gleichzeitig beschwor Vaclav Klaus die Grundidee seiner Privatisierungsmethode: Die Bürger wüßten als Arbeitnehmer und Konsument besser als jeder Fonds, welche Betriebe erfolgreich seien. Eindringlich warnte Klaus vor einem schnellen Verkauf der Aktien an die Fonds. Da Unternehmen für insgesamt 210 Milliarden Kronen privatisiert werden würden, sei ihr Wert deutlich höher als die von Havard versprochenen 10.350 Kronen.

Doch bisher kennt die Bevölkerung nicht einmal die zu privatisierenden Betriebe. Obwohl sich die Privatisierungskommission der Tschechischen Republik seit Wochen in einem eigens zur Verfügung gestellten böhmischen Schloß in Klausur befindet, ist es ihr bisher nicht gelungen, sich durch den Berg der Privatisierungsprojekte für mehr als 2.000 Staatsbetriebe zu arbeiten. Unklar sind bis heute auch die weiteren Termine und der genaue Verlauf des Privatisierungsprozesses. Informationen aus dem Finanzministerium weisen darauf hin, daß dort nicht einmal die zuständigen Mitarbeiter wissen, wie beispielsweise ein Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage an einem bestimmten Betrieb ausgeglichen werden kann. Unklar ist auch, was mit den Unternehmen passiert, für deren Aktien es keine Interesse gibt. Die Lotterie hat begonnen; nach welchen Regeln jedoch gespielt wird, bleibt weiter offen.