: Dresdens Rechte zwischen Kadi und Kommiß
■ Regierung und Justiz in Sachsen sehen keine Gefahr von rechts mehr: Ein Projekt von rechtsgerichteten Jugendlichen in Dresden scheiterte an der mangelnden Einsicht der Kommune
Seit dem Pogrom von Hoyerswerda ist es ruhig geworden um die Rechtsradikalen in Sachsen. Der „harte Kern“ hat sich vom Fall Rainer Sonntag, der im Frühjahr vergangenen Jahres in Dresden auf offener Straße ermordet wurde, offensichtlich noch nicht erholt. Außerdem hat die „Sonderkommission Rechtsextremismus“ die Szene mit mehreren Razzien aufgeräumt. „Tendenz bei rechtsextremen Straftaten fallend“, vermeldet denn auch stolz das sächsische Innenministerium. Demnächst beginnt vor dem Kreisgericht Bautzen ein weiterer Prozeß zu Hoyerswerda. Generalstaatsanwalt Günther Hertweck sieht jedoch auch nach den Ermittlungen keine Anzeichen für rechtsextreme Strukturen in Sachsen. Die Leute hätten „spontan“ Straftaten begangen, versichert er. Auch die Beschuldigten aus den alten Bundesländern wären „mehr oder weniger zufällig“ dabeigewesen.
Den beschönigenden Einschätzungen von Regierung und Justiz steht eine lange Liste ungesühnter Angriffe, Anschläge und Überfälle auf Ausländer gegenüber. „Bagatellen“ wie mannshohe Hakenkreuzschmierereien bleiben darin gänzlich unberücksichtigt. Der Vorteil der Argumentation liegt auf der Hand: Wenn alle rassistischen Ausfälle nur „spontan und zufällig“ waren, ist strukturelle Arbeit zur Beseitigung des Grundübels Ausländerhaß überflüssig. Ergo sieht sich auch die Dresdner Kommune nicht genötigt, sozialpädagogische Arbeit mit gefährdeten Judendlichen zu unterstützen. Ein gescheitertes Jugendprojekt im Neubaugebiet Johannstadt ist dafür ein trauriges Beispiel.
Begegnungsstätte für Links und Rechts
In Dresden-Johannstadt stehen drei Schulen und ein Betonwerk. Das Betonwerk hat Geschichte: Hier entstanden in den fünfziger Jahren die ersten Platten für den Wiederaufbau der Stadt. Doch die mittlerweile bezogenen Zehngeschosser verfallen. Ihre BewohnerInnen haben anderes zu tun, als Pläne für das graue Viertel zu schmieden. Einmal sollte auf dem weiten Werksgelände ein Jugendzentrum entstehen, doch davon ist nur noch die Idee übrig. Den Anfang machte die Lehrerin Maureen Richter, die ihre Schüler für das Projekt zu begeistern versuchte. Die Idee wurde konkret, als Schülervertreter aus Johannstadt zu einer Konferenz nach Nürnberg reisten und dort in einem Jugendzentrum unterkamen. Anschließend stand für sie nicht nur fest, daß sie eine Begegnungsstätte brauchten, sondern auch, daß sie sie nicht serviert bekommen wollten; sie wollten selbst mit aufbauen, vielleicht sogar mit Lehrverträgen. Der Treff sollte tagsüber geöffnet sein und Räume zum Quatschen, Spielen und Arbeiten enthalten. Vor allem aber sollte er politisch rechts und links stehende Jugendliche zusammenbringen. Die sich das ausmalten, zählen sich selbst zu den „Rechten“.
Das Betonwerk samt Gelände gehörte der Treuhand. Damit dort ein Jugendzentrum entstehen könne, müßte die Stadt gegenüber der Treuhand Ansprüche geltend machen, meinten die jungen Johannstädter. Dafür sammelten sie vor Weihnachten Unterschriften. Mehr als 250 sandten sie an den Oberbürgermeister, an den Dezernenten für Bildung und das Jugendamt. Doch das Rathaus schwieg, bis es bedauernd kundtun mußte: Leider zu spät, die Treuhand hat verkauft. Neue Eigentümer mit 51Prozent der Anteile sind zwei Unternehmen aus Westberlin.
Mit leeren Händen vom „runden Tisch“
Bildungsdezernent Jürgen Löffler (Alternative Fraktion) läßt sich heute verleugnen, wenn die Rede auf das Jugendzentrum kommt. Immerhin habe er 6.000 Quadratmeter für einen Sportplatz vom Werkgelände abgezwackt, verweist er über Mittelsmänner. Doch die Kids wollen nicht kicken, sie wollen ein Haus. Mit dieser Forderung schickten sie einen Vertreter zum ersten „Runden Tisch gegen Gewalt in Sachsen“, den Landtagspräsident Erich Illtgen (CDU) ins Leben rief. Unter beachtlichem Sicherheitsaufwand und Ausschluß der Presse begegneten sich dort Politiker und Rechtsradikale, Kirchenleute und Jugendfunktionäre. Über den Inhalt wurde Stillschweigen bewahrt, wenn auch die Politiker hinterher gestanden, viel gelernt zu haben. Dafür gingen die Jugendlichen, wie sie gekommen waren: mit leeren Händen.
Hätte die Stadt an dem Jugendzentrum Interesse gehabt, hätte sich in einigen damals noch geöffneten Töpfen des Landes auch Geld dafür gefunden. Die Kommune aber war froh, daß die Treuhand den Bau der Johannstadt GmbH losschlagen konnte. Geschäftsführer Winfried Zücker hält es überhaupt bis heute für eine Legende, daß über eine soziale Nutzung des Geländes in seiner „exquisiten Lage“ jemals ernsthaft nachgedacht wurde. Büros, ließ er durchblicken, könne seine GmbH auch allein hinstellen. So bleibt es einigen Klubs wie der „Espe“ und dem „Pep“ oder dem „Boot e.V.“ überlassen, sich um die Cliquen und besonders um die von rechtsextremer Seite gefährdeten Jugendlichen in den Neubaugebieten zu kümmern. Nach wie vor steht der „harte Kern“ der Rechten zwischen Kadi und dem Kommißdienst in ihrer „Kameradschaft“. Alternativen bleiben rar. Detlef Krell, Dresden
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen