Mit Streetworkern gegen Bandenbildung

■ Manche sehen im Osten bereits eine neue Jugendrevolte von rechts heraufziehen: Perspektivlose Rechtsradikale prügeln sich durch das neue Deutschland. Dagegen nehmen sich die Versuche, rechte...

Mit Streetworkern gegen Bandenbildung Manche sehen im Osten bereits eine neue Jugendrevolte von rechts heraufziehen: Perspektivlose Rechtsradikale prügeln sich durch das neue Deutschland. Dagegen nehmen sich die Versuche, rechte Skinheads in die Gesellschaft zu integrieren, eher bescheiden aus.

Eigentlich mag er seinen Vornamen nicht. Lieber läßt er sich mit seinem bedeutungsvolleren Nachnamen ansprechen: „Friedrich“ will Lars gerufen werden. Daß Lars aus Ostberlin so sehr am Friedrich hängt, hat mit seiner nationalistischen Einstellung zu tun, er sei halt „deutsch“ erzogen worden. „In den Ferien war ich immer bei meinem Opa. Der und seine Freunde haben mich inspiriert.“ Der alte Herr nahm seinen Enkel an sonnigen Nachmittagen mit in eine S-Bahn-Kneipe. Dort frischte er mit Kriegskameraden Erlebnisse auf. Sie erzählten dem Jungen von „lustigen“ Streichen, die sie ihren Vorgesetzten gespielt hätten. Im Krieg, so lernte Lars, wurden Männerfreundschaften geschlossen — fürs Leben. Am meisten bewundert er den Zusammenhalt der alten Männer: „War 'ne geile Kompanie. Die treffen sich heute noch.“

Wenn der braune Großvater und seine Freunde erzählten, spitzte der Enkel die Ohren. Gerade mal 15 Jahre alt war der Junge, als er das erste Mal vor einem Richter stand. Lars hatte Hakenkreuze auf den Hefter gemalt und mit einem Mitschüler im Unterricht faschistische Sprüche geklopft. Der rote Jugendrichter verdonnerte ihn zu zehn Monaten auf Bewährung. Per Jugendrecht sollte aus dem aufmüpfigen Schüler ein sozialistischer Musterknabe werden. Aber die politische Verurteilung fruchtete nicht. Immer wieder rasierte sich Lars den Schädel kahl, immer wieder heftete er sich ein Hakenkreuz an die Brust — wie er es auch heute noch tut.

Seit vier Jahren ist der 19jährige ein überzeugter Skinhead. Täglich trifft er sich mit seinen Freunden in einem Jugendklub, mitten in der Plattenbaustadt Berlin-Marzahn gelegen. Seit knapp einem Monat nennen sie den ehemaligen FDJ-Klub quasi ihr Eigen. Ein schriftlicher Nutzungsvertrag fehlt zwar noch, aber als Zeichen des Vertrauens hat der Bezirk ihnen schon mal einen Schlüssel für das Haus überlassen. Der Sozialarbeiter hat eimerweise Dispersionsfarbe herangeschleppt, und nun stehen die Skins mit ihren schweren Doc-Martens-Stiefeln und den knöchellangen Hosen da und renovieren. Fachmännisch vergipsen sie Risse und Löcher in den Bruchplatten, aus denen der Bau vor zehn Jahren errichtet wurde. Und über die Frage, ob die drei Räume nebst Bar einfach nur geweißt oder neu tapeziert werden, sollen alle abstimmen.

Nur wenige Wochen ist es her, da zeigten sich diese Glatzen von ihrer weniger häuslichen Seite. Für eine private Fernsehstation demonstrierten sie, wozu sie auch fähig sind: Mit einer Waffe zielte Skinhead-Chef Peter auf die Fenster eines Hauses, in dem Vietnamesen leben. Hier waren die Skins die Horrorbande, die allen zeigte: Wir schlagen uns für Doitschland. Nun wollen dieselben Skins beweisen, daß sie nicht die bösen Buben sind. Daß ihre Vorstellung im Fernsehen ein bezahlter und alkoholgetränkter Ausrutscher war. Und daß sie resozialisierbar sind. Bundesjugendministerin Angela Merkel (CDU) hat 20 Millionen Mark für die Arbeit mit rechtsgerichteten Jugendlichen in den neuen Bundesländern zur Verfügung gestellt, und davon bekommt der Marzahner Klub gut 250.000Mark ab. Ein Pilotprojekt, das unter die sozialarbeiterische Kategorie „mobile Jugendarbeit“ fällt. Als West-Streetworker Michael Wiczorek die Gruppe vor fünf Monaten an der Pommesbude traf, kümmerten sich vorwiegend Bundesgrenzschutz und Polizei um sie. Die einen beobachteten, die anderen führten ab. Beträchtliche Vorstrafenregister kamen da zusammen; fast keiner der 15 Skins aus der Kerngruppe kann sich eine weitere Konfrontation mit der Staatsgewalt leisten. Michael Wiczorek will ihren Tatendrang in geordnete Bahnen lenken. Die Skins sollen in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen untergebracht werden. Eigens für junge Ostberliner unter 25 Jahre hat die Berliner Sozialsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) das sogenannte „301-Programm“ aufgelegt. 301 Jugendliche werden bis zu drei Jahren auf Kosten des Senats arbeiten können. Einer von ihnen wird René sein. Der 17jährige kann wegen einer plötzlich aufgetretenen Gipsallergie seine Maurerlehre nicht zu Ende bringen. Gemeinsam mit anderen Glatzen will er eine Pergola für den tristen Beton-Jugendklub bauen und begrünen. Zwar sind die Arbeitsverträge noch nicht unterschrieben, aber die Pläne, wie die Skins sich in den Stadtteil integrieren können, nehmen Gestalt an. In Absprache mit dem Stadtteilverein SPI wollen sie die Betonkarrees verschönern: Bäume pflanzen, Unkraut jäten, Müll beseitigen. In Marzahn nehmen hakenkreuztätowierte Skinheads Tuchfühlung mit der Nachbarschaft auf.

Michael Wiczorek schöpft seine Ideen zum Thema „Strategien gegen Gewalt“ aus der linken Stadtteilarbeit der frühen siebziger Jahre. Er ist einer der wenigen Sozialarbeiter, der seine Vorbehalte gegen rechte Jugendliche abgelegt hat. Er begreift es als persönliche Herausforderung. „Die Rufe nach Knast und Arbeitslager für rechte Skins kann ich nicht hören.“ Den Problemen Arbeitslosigkeit, mangelnde Perspektiven und allgemeine Orientierungslosigkeit setzt er seine Bereitschaft entgegen, zuzuhören. Für ihn sind Hakenkreuze und „Deutschland den Deutschen“-Rufe nicht unbedingt Ausdruck gefestigter faschistischer Überzeugung. „Solche Dinge überhöre ich.“

Die teutonischen Jungs aus dem Freizeitklub Marzahn wollen „natürlich keine Parteizentrale“ werden. Im Gegenteil. Bald schon soll das Klubcafé öffnen. Am Nachmittag, wenn die Leute aus der Nachbarschaft von der Arbeit kommen, wollen die Skins ihnen Kaffee, Tee und Bier anbieten. Irgendwie erinnert das alles an ein alternatives Nachbarschaftszentrum mit Kinderbetreuung und Diavortrag.

Eine fremdenfreundliche Clique werden die Skins aber dadurch nicht. Ausländer werden im Klub nur für die Dauer eines Getränks geduldet. Zwar würde man kein Schild Ausländer unerwünscht aufstellen. „Wenn Ausländer 'nen Kaffe wollten, wär dit ja unser Umsatz“, sagt einer. „Aber freuen würde ich mich nicht, wenn die kämen.“ Annette Rogalla, Berlin