Eine Ehe, die sich nie vollzogen hat

■ Hanna Schygulla über Rainer Werner Fassbinder — im Gespräch mit Gerhard Midding, Teil 2

taz: Die Fontaneverfilmung „Effi Briest“ — das ist der erste Bruch in Ihrer gemeinsamen Filmographie. Allein die Produktionsdauer bricht schon mit dem aufgeregten Sog der ersten Jahre: zwei Jahre hat es gedauert, bis der Film fertig war.

Hanna Schygulla: (nachdenklich) Ja, seltsam. Da ging das Geld aus, hat's geheißen. Es war aber auch ein Bruch zwischen mir und dem Rainer passiert. Wir hatten dieses berühmte, aber doch eigentlich kurze Gespräch, bei dem er mit den Plänen für die nächste Zeit herausrückte. Aber ich fühlte mich zu der Zeit nur noch wie eine Puppe, hab' richtig so eine Art Phobie entwickelt und gesagt: „Ich mach' jetzt erst mal gar nichts mehr. Das hat einen richtigen Schock ausgelöst bei ihm, das konnte er gar nicht verstehen: Daß gerade ich, die immer die besten Sachen bekam, plötzlich nicht mehr wollte. Der Film hat dann ja auch eine gewisse Distanz, was ihm aber ganz gut tut, finde ich.

Er besitzt eine starke Künstlichkeit, die sich vor allem auf der Ebene des Tons mitteilt.

Das ist ein richtiger Lesefilm.

Ja, aber dann auch diese Differenz zwischen den Schauspielern und ihren Stimmen: beinahe jede Rolle scheint nachsynchronisiert zu sein.

Das hat er gern gemacht: die Leute dadurch irritiert, daß er ihnen wesenseigene Sachen weggenommen hat. Und dann hat er einfach die Stimme eines anderen genommen.

War das nicht sehr verletzend für die Schauspieler?

Ja, aber das war auch Teil seines Vergnügens. Das hat er auch systematisch in Warnung vor einer heiligen Nutte gemacht, da waren ich und der Kurt Raab die einzigen, die ihre Stimme behielten.

Unterschieden sich Ihre Auffassungen über die Rolle der Effi Briest?

Sehr. Das Buch ist ja sehr dramatisch, und der Film ist sehr ruhig, idyllisch fast. Unser Konflikt ist nur zu erahnen, spielt sich eigentlich nur in den Texten ab. Alles wirkt so artig und spitzenverhangen und gesittet. Ich wollte aber spielen! (lacht) Denn ich war ohnehin in einer gewissen Erstarrung auf der Leinwand angelangt. Ich wollte das Korsett sprengen — und das gerade zu dem Zeitpunkt, wo es sich stärker denn je um mich geschnürt hat. Ich muß aber sagen, daß er eine große Intelligenz bewiesen hat, den Film so zu machen. Da war mein Bedürfnis viel banaler. Mich hat das damals natürlich ziemlich frustriert: nur anwesend zu sein, nichts ausleben zu können. Aber das war ja eigentlich auch das Thema. Effi Briest ist ja jemand, der an seinen unausgelebten Seelenregungen erstickt. Heute würde man sagen: ein Fall für Krebs. Im Rückblick finde ich den Film nun sehr gut.

Zwischen uns hat sich durch diesen Film sehr viel verändert. Fassbinder hatte Angst, ich könnte nun jederzeit ausscheren. Später war ich dann viel mehr bereit, mich auf ihn einzulassen und auch mehr mit ihm zu tun zu haben. Am Anfang hatte ich das Gefühl: wenn ich mich auf seinen Dämon einlasse, werden wir wahrscheinlich nur sehr wenig miteinander tun können. Denn ich konnte nicht in diese Hörigkeitsgeschichten einsteigen. Als ich dann später selbst auch ein paar Jahre weiter war, kamen auch von mir mehr Gesten. Anfangs kamen sie immer nur von ihm, da habe ich dann zum Teil auch weggeguckt, um nicht reagieren zu müssen. Die Beziehung zwischen dem Rainer und mir war eine Art Ehe der Maria Braun, die sich nie vollzogen hat. Alles fand immer auf Umwegen statt, man hat sich etwas aufgehoben, für einen Moment, der dann nicht kam. Oder als er kam, war es zu spät. Eine künstlerische Ehe ist immer entweder eine Liebesgeschichte oder eine Art Konkurrenzunternehmen.

Ich habe den Eindruck, in die erste Phase sind Sie ein wenig hineingeschlittert. Aber in der zweiten, nach der „Ehe der Maria Braun“, da konnten Sie dann plötzliche eine richtige Karriere planen.

Das war gleich die zweite Verletzung für ihn, weil das Echo auf mich, vor allem in Amerika, noch viel stärker war als auf ihn. Ich habe dann ja auch einen Schauspielerpreis bekommen, und er gar nichts. Darüber habe ich zwar mit ihm geredet, aber geholfen hat das nichts. So etwas kann oft passieren mit Regisseuren, daß sie sich zurückgesetzt fühlen, wenn die Schauspielerin mehr Erfolg hat. Mit dem (Marco) Ferreri ist es mir auch so ergangen, mit ihm hätte ich gern noch nach der Geschichte der Piera weitergearbeitet. Aber das ging für ihn dann nicht mehr, nach dem Preis, den ich in Cannes bekam.

Der Anstoß zu Ihrem nächsten Film mit Fassbinder kam dann von Ihnen, nicht wahr?

Ja, das war mein Vorschlag. Der (Produzent) Luggi Waldleitner rief mich in New York an und hat mich gefragt, ob ich die Lili Marleen spielen möchte. Ich hab' gesagt: „Wenn ich das mache, dann nur mit dem Rainer.“ Da sind dann aber Sachen gelaufen, die zum zweiten Bruch geführt haben. Denn er hat mich in der Gage wahnsinnig gedrückt. Dafür gab es keinen Anlaß, das war ein Zehn-Millionen-Film, für die damalige Zeit ein sehr großes Budget. Ich war froh, daß wir diesmal nicht auf „antiteater“-Basis arbeiten mußten. Aber der Rainer schaltete sich ein und sagte mir: „Mehr ist da nicht drin.“ Später habe ich dann erfahren, daß der (Giancarlo) Giannini, der eine viel kleinere Rolle hatte, viel mehr bekam als ich. Das fand ich ein starkes Stück. Ich hatte das schon mal erlebt, bei Maria Braun, wo der Löwitsch mehr bekommen hatte als ich. So etwas wollte ich nicht noch einmal erleben. Obwohl ich natürlich froh bin, daß ich die Rolle gespielt habe. Aber es ist doch nicht einzusehen, daß so etwas passiert. Hauptrolle ist schließlich Hauptrolle.

Für mich war die Sache eigentlich in dem Moment erledigt, als ich es ausgesprochen hatte. Ich war froh, daß ich endlich mal die Chuzpe hatte, ihm was zu sagen. Denn mit Rainer war es immer schwieriger geworden, er hatte inzwischen einen richtig absolutistischen Charakter entwikkelt. Er war nicht mehr der junge Rainer, der Freudensprünge unternommen hat, wenn ihm etwas gelungen ist. Das war ein anderer Rainer, der schon einige Runden hinter sich hatte.

Na, bei ihm ging auf jeden Fall ein solcher Sturm los... Am nächsten Tag kam er dann überhaupt nicht zum Drehen. Er sei krank, hat's geheißen. Ich bin ihn dann suchen gegangen und hab' ihn in einer der Kneipen gefunden, wo er immer verkehrte. Er sagte, er sei krank, mit der Frau Schygulla könne er nicht mehr drehen. Da ist bei mir dann die Sicherung durchgegangen, da hab' ich alles 'rausgelassen, was ich ihm schon lange sagen wollte: von wegen Sklaventreiber und so. Am nächsten Tag war dann eine Szene zu drehen... seltsam, wie diese Parallelität im Leben und im Film oft läuft... eine Szene, in der ich als Lili Marleen bei den Nazis auf den Index komme, weil ich eine unerlaubte Beziehung zu einem Juden unterhalte. Fassbinder hat mich dann auch auf den Index gesetzt, hat mir durch die Regieassistentin mitteilen lassen, daß er kein Wort mehr mit mir spricht. Die Regieanweisungen sollten also alle über die Assistentin kommen, aber ich hab' das dann durchbrochen und ihn direkt angesprochen. Nach dem Film wollte er dann nichts mehr mit mir zu tun haben.

Aber für „Lola“ waren zunächst doch Sie vorgesehen?

Das lag in der Luft. Wenn Sie mich damals interviewt hätten, hätte ich Ihnen gesagt: „Als Nächstes drehe ich ein Remake vom Blauen Engel, die Fassbinder-Version.“ Irgendwann wollte ich es von ihm aber dann genauer hören, denn ich hatte was läuten hören. Ich stellte ihn zur Rede: „Sei einfach nur ehrlich zu mir: Machen wir das nun zusammen oder nicht?“ Dann hat er seine große Panthertatze ausgefahren und mir einen Schlag versetzt, indem er mir sagte: „Nee, ich mach' das mit jemand anderem.“

Danach war dann Sendepause. Ich glaube, er hat es mir übel genommen, daß ich beim Dreh von Lili Marleen so offen vor allen Leuten war, vor allem seiner Bande. Die letzten zwei Jahre habe ich ihn dann nicht mehr gesehen. Kurz bevor Fassbinder gestorben ist, kam von ihm aber dann doch noch eine Geste. Er rief mich in Mexiko an, hatte über die Agentur erfahren, daß ich dort gerade drehte. Er wollte mit mir eine Episode des Krieg und Frieden-Projekts drehen. Das war eigentlich wieder sein Thema, das er auch in Querelle hatte: „Each man kills the thing he loves.“ Es ging um ein Paar, das sich ins Bett legt, um Liebe zu machen. Es endet damit, daß der Eine den Anderen erschlägt.

Vor kurzem bekam ich dann noch etwas zugeschickt, was jemand beim Durchsehen von Rainers Papieren entdeckt hat: einen Vertrag, in den er meinen Namen eingesetzt hatte, ohne daß ich das wußte. Das war die Geschichte, die dann die Margarethe (von Trotta) mit der Sukowa gemacht hat, über diese Kommunistenführerin (Rosa Luxemburg, Anm.d.Red.). Das bedeutet, daß er nach zwei Jahren über den Punkt wieder hinaus war und nicht mehr tödlich beleidigt war. Da hätte es schon noch ein weiteres Kapitel gegeben mit uns beiden.

Sie haben einmal einen Teil von Fassbinders Werk als ein „Geschichtsbuch in Filmen“ bezeichnet. Glauben Sie, daß es das sein wird, was historisch, filmhistorisch, von Fassbinder bleibt?

Ja, ich glaube, das wird bleiben. Bei den anderen Sachen hat er viele heiße Eisen angepackt, und die verlieren, sobald die Zeiten sich ändern, an Brisanz. Aber so etwas läßt sich schwer vorhersagen.

Aber glauben Sie nicht, daß jemand im Ausland sich zuerst „DieDritte Generation" anschauen würde,um etwas über diese bestimmte Phase des Terrorismus zu erfahren?

Das ist ein gutes Beispiel für einen Film, der doch sehr aus der Aktualität heraus gelebt hat. Die dritte Generation, das war die fun generation, die keine Überzeugungen mehr hatte und sich, wie er es sah, vom Großkapital manipulieren ließ. Ich glaube, er hat das ganz richtig gesehen. Damals hatten wir ja große Angst, daß wir alle vercomputert und eingespeichert werden. Diese Angst ist heute vorbei. Heute haben wir Angst, an Luftverschmutzung und am Ozonloch zu krepieren. Die Rückkehr zur Diktatur, das Wiederaufkommen des Faschismus, bereitet uns heutzutage eine vergleichsweise kleine Angst. Die Notstandsgesetze haben uns zu der Zeit irrsinnig bewegt. Aber die Themen von gestern können, glaube ich, nicht mehr die Themen von heute sein.

Aber er hat auch Themen aufgegriffen, die uns heute noch sehr beschäftigen, zum Beispiel Fremdenhass in Katzelmacher. Die Filme, die eine Fabel haben und sich auch auf andere Zeiten anwenden lassen, altern nicht. Die Filme, die keine These vertreten, sondern eine Geschichte aus der Zeit erzählen. Dieselbe Frage stellt sich auch bei den Godard-Filmen. Für ihre Zeit geben diese Filme natürlich vitale Anstöße. Ich würde sagen, der Rainer fehlt in dieser Hinsicht sehr: Einer von dem man nicht genau weiß, was man zu erwarten hat, der vielseitig ist und verschiedene Genres bedienen kann und immer ein Moment der Provokation auslöst.

Morgen: Fassbinder und die Berlinale.